Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 22
Der Haftungsausschluss der §§ 104, 105 SGB VII (§§ 636, 637 RVO a.F.) stellt eine Ausnahmeregelung zur allgemeinen zivilrechtlichen Haftungslage dar. Daraus folgt, dass er im Zweifel eng auszulegen ist. Wegen dieses Ausnahmecharakters, aber auch deshalb, weil die Berufung auf den Ausschluss zu einem für den betroffenen Unternehmer bzw. Arbeitskollegen günstigen Ergebnis führt, hat derjenige, der sich auf den Ausschluss beruft, prozessual das Vorliegen der Voraussetzungen nachzuweisen. Die Beschränkung des Haftungsausschlusses bzw. die teilweise Wiederherstellung der ursprünglichen Haftungslage bei vorsätzlicher Schädigung oder Teilnahme am allgemeinen Verkehr stellt wieder eine Ausnahme vom vorhergehenden Haftungsausschluss dar. Für sie gelten also im Verhältnis zum Haftungsausschluss die gleichen Folgerungen zur Auslegung und zur Beweislast.
Rz. 23
Die §§ 104 ff. SGB VII schließen historisch an die §§ 636 ff. RVO a.F. an, die ihrerseits bis Ende 1996 in Kraft waren. Das UVEG vom 7.8.1996 führte zum Inkrafttreten des SGB VII und damit auch der §§ 104 ff. mit Wirkung ab 1.1.1997.
Rz. 24
Die Neuregelung, die in erster Linie zur Einbettung des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung in das System des Sozialgesetzbuches geführt hat, dient weniger der inhaltlichen Neuordnung als der normativen Bereinigung. Gegenüber den §§ 636, 637 RVO a.F. sind die §§ 104 ff. SGB VII in ihrer normativen Struktur einerseits übersichtlicher. Andererseits und nicht zuletzt hat der Gesetzgeber die Gelegenheit genutzt, der Neuregelung die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung und Literatur zugrunde zu legen und insoweit den aktuellen rechtlichen Gegebenheiten anzupassen, wie § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII in Bezug auf die Rechtsprechung zum Merkmal der "Teilnahme am allgemeinen Verkehr" (dazu im Einzelnen Rdn 179 ff.) exemplarisch zeigt.
Rz. 25
Im Einzelnen normiert § 104 SGB VII die Haftungsbeschränkung zugunsten des Unternehmers als Grundfall. Die Haftungsbeschränkungen zugunsten der Arbeitskollegen, die in demselben Betrieb tätig sind, legt § 105 SGB VII fest. Die Anwendung des § 105 SGB VII verlangt das Vorliegen der in § 104 SGB VII normierten Voraussetzungen.
Rz. 26
§ 106 SGB VII führt zur Erstreckung der Beschränkung der Haftung "anderer Personen", die im Anwendungsbereich der Vorschrift durch Verweis auf näher bestimmte versicherte Unternehmen personell festgelegt sind (vgl. § 2 SGB VII z.B. Lernende, Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, Schüler oder Studierende).
Rz. 27
Das Pflegeversicherungsgesetz (vgl. § 36 Rdn 23 und Rdn 32) führte mit Wirkung ab 1.1.1995 (Art. 68 Abs. 2 PflegeVG) zur Anfügung des § 637 Abs. 5 RVO a.F. Danach fand § 636 RVO a.F. auch im Verhältnis zwischen Pflegebedürftigen und Pflegepersonen, die bei Vorliegen der Voraussetzungen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung standen (vgl. § 539 Abs. 1 Nr. 19 RVO a.F. i.d.F. des Art. 7 Nr. 1 PflegeVG), und im Verhältnis mehrerer Pflegepersonen untereinander Anwendung (Art. 7 Nr. 3 PflegeVG). § 106 Abs. 2 SGB VII knüpft an diese Vorschriften ohne inhaltliche Änderung an.
Rz. 28
Die für die See-Unfallversicherung im Anwendungsbereich des § 107 SGB VII verankerte Geltung der §§ 104, 105 SGB VII entspricht dem früheren § 849 RVO a.F., die Vorschriften hinsichtlich der Bindung der Gerichte sowie bezüglich der Feststellungsberechtigung (§§ 108 und 109 SGB VII) entsprechen den früheren §§ 638 und 639 RVO a.F. (dazu § 38).
Rz. 29
Hinzuweisen bleibt darauf, dass die §§ 110–113 SGB VII normativ an die früheren §§ 642 RVO a.F. anknüpfen (Rdn 282 ff.).