Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 301
Der aus § 110 SGB VII erwachsende Rückgriffsanspruch kann von jedem Sozialversicherungsträger, also z.B. auch vom Rentenversicherer, erhoben werden. Er richtet sich bei Ableben des Schuldners gegen dessen Erben, ebenso gegen die Kraftfahrzeugversicherer nach § 3 Nr. 1 PflVG. Allerdings ist die Bundesagentur für Arbeit als Trägerin der Arbeitslosenversicherung nicht Sozialversicherungsträger im Sinne von § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII.
Rz. 302
Die Erstattungspflichtigen können bei Vorliegen aller Voraussetzungen Gesamtschuldner sein. Dem Rückgriffsanspruch kann der nach § 110 SGB VII Verantwortliche nicht die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB entgegenhalten. Dies ist die zwingende Folge der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur "anderweitigen Ersatzerlangung" im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 2 BGB. Die durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers bewirkte Störung des Gesamtschuldverhältnisses wird im Übrigen nicht dadurch "ausgeglichen", dass dem aus übergegangenem Recht klagenden Sozialversicherungsträger ein Rückgriffsanspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII gegen den Erstschädiger zusteht.
Rz. 303
Steht einem Sozialversicherungsträger ein Regressanspruch gegen einen Beamten zu, so steht Art. 34 GG der persönlichen Inanspruchnahme des Beamten nicht entgegen. § 110 SGB VII gilt insoweit vorrangig.
Rz. 304
Die Sozialversicherungsträger können nach billigem Ermessen materiell-rechtlich ganz oder teilweise auf den Regressanspruch verzichten. Diese Entschließung des Leistungsträgers unterliegt der Nachprüfung durch die ordentlichen Gerichte.
Rz. 305
Der Versicherungsträger darf nicht ohne gewichtigen Grund auf den begründeten Anspruch verzichten. Ein unbegründeter Verzicht könnte einen Verstoß gegen § 42 Abs. 2 SGB IV bedeuten. Andererseits will der Gesetzgeber vermeiden, dass der Ersatzanspruch gegenüber sozial schwachen Personen zur Existenzgefährdung führt. Unter diesem Gesichtspunkt ist dem Sozialversicherungsträger die Möglichkeit eingeräumt, nach seinem billigen Ermessen auf den Ersatzanspruch ganz oder teilweise zu verzichten. Der Schutzzweck kann nur praktikabel werden, wenn der Sozialversicherungsträger nicht nur berechtigt, sondern – wenn billiges Ermessen dies gebietet – auch verpflichtet ist, auf die Durchsetzung des Rückgriffsanspruchs zu verzichten.
Rz. 306
Die Ausübung "billigen Ermessens" setzt pflichtgemäßes Handeln des Sozialversicherungsträgers nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen voraus. Bei der Ermessensentscheidung sind die Schwere der Schuld und alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers zu berücksichtigen.
Rz. 307
Die Entscheidung über den Verzicht ist kein Verwaltungsakt und daher nur vor den ordentlichen Gerichten, nicht dagegen im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit nachprüfbar. Die Überprüfungskompetenz reicht nur insoweit, ob rechtsmissbräuchliche Anwendung des Ermessens vorliegt, insbesondere ob unbillige Härte, Willkür oder sachfremde Erwägungen festzustellen sind.
Rz. 308
Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers sind etwaige Freistellungsansprüche des Schädigers gegen seine Haftpflichtversicherung zu berücksichtigen. Gewährt dagegen eine Gewerkschaft einem Mitglied freiwillige Unterstützungsleistungen zur Erfüllung seiner Schadensersatzpflicht, so sind diese nicht zu berücksichtigen.
Rz. 309
Der Verzicht (Einwand der unzulässigen Rechtsausübung) kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden, ggf. durch Vollstreckungsgegenklage, Abänderungs- oder Feststellungsklage.
Rz. 310
Die Möglichkeit, auf den Ersatzanspruch ganz zu verzichten, ist aus praktischen Gründen längst wünschenswert gewesen. Bisher haben sich die Sozialversicherungsträger stets für verpflichtet angesehen, Rückgriffsansprüche unter allen Umständen geltend zu machen.
Rz. 311
Ob eine Verpflichtung des Unternehmers, der Berufsgenossenschaft seine Haftpflichtversicherung zu benennen, besteht, ist zweifelhaft. Eine Mitwirkungspflicht des Unternehmers hierzu könnte sich aber aus den allgemeinen Grundgedanken des § 242 BGB ergeben. Von Bedeutung ist die Frage allerdings nicht. Schließlich löst der Haftpflichtversicherer die persönliche Haftpflicht des Unternehmers ab. Erfolgt die Erledigung über ein Teilungsabkommen, wird der maßgebliche Haftpflichtversicherungsvertrag ohnehin nicht belastet.