Prof. Dr. Günther Schneider
I. Grundlagen
Rz. 282
Nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII (§ 640 SGB VII a.F.) haften Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben und deren Haftung nach den §§ 104–107 SGB VII beschränkt ist, den Sozialversicherungsträgern für die in Folge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs.
Rz. 283
Zwar ist die Haftung des Schädigers gegenüber dem Sozialversicherungsträger im Rahmen der §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen. Insoweit bestimmt § 104 Abs. 1 S. 2 SGB VII, dass ein Forderungsübergang nach § 116 SGB X nicht stattfindet. Indessen eröffnet § 110 SGB VII dem Sozialversicherungsträger eine besondere Regressmöglichkeit.
Rz. 284
Im Gegensatz zum abgeleiteten Anspruch aus § 116 Abs. 1 SGB X handelt es sich um einen originären Anspruch des Sozialversicherungsträgers auf Ersatz des mittelbaren Schadens, der gerade dann zum Tragen kommt, wenn ein überleitungsfähiger Schadensersatzanspruch wegen des Haftungsprivilegs nicht zur Entstehung gelangt ist.
Rz. 285
Der Rückgriffsanspruch nach § 110 Abs. 1 SGB VII entspringt zwar dem Sozialversicherungsverhältnis und damit dem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zwischen dem Sozialversicherungsträger und seinem Mitglied. Er ist jedoch inhaltlich bürgerlich-rechtlicher Natur und daher vor den Zivilgerichten zu erheben. Dies ist indessen nicht auf die Regressklage des Unfallversicherungsträgers gegen einen Arbeitgeber im Falle der Schwarzarbeit anzuwenden: Für die gerichtliche Geltendmachung des einem Unfallversicherungsträger gegen einen Unternehmer im Falle der Schwarzarbeit zustehenden Regressanspruchs nach § 110 Abs. 1a SGB VII ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten und nicht der Zivilrechtsweg eröffnet.
Rz. 286
Der Zweck des Rückgriffs liegt in der Refinanzierung der Unfallversicherung. Allerdings kommt dem Anspruch nicht zuletzt erzieherische Funktion im Hinblick auf die Unfallverhütung zu.
Rz. 287
Der Anspruch aus § 110 SGB VII unterscheidet sich von dem bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzanspruch aus der unerlaubten Handlung insofern, als ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 843 Abs. 3 BGB in jedem Falle anstelle der Rente wahlweise der Kapitalwert verlangt werden kann.
Rz. 288
Diese in § 110 Abs. 1 S. 2 SGB VII normierte Regelung entspricht den praktischen Erfahrungen, wonach Ansprüche aus § 640 RVO in der Regel zwischen den Sozialversicherungsträgern und den Haftpflichtversicherern durch Kapitalzahlung abgegolten wurden. Da der Sozialversicherungsträger nach § 110 Abs. 2 SGB VII nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers auf den Ersatzanspruch ganz verzichten kann (Rdn 301 ff.), wird in der Regel bei Nichtvorliegen einer Haftpflichtversicherung der Kapitalwert nicht gefordert.
Rz. 289
Das Gericht kann aber seinerseits nicht darüber entscheiden, ob die Wahl des Rückgriffsanspruches in Kapitalform durch den Versicherungsträger angemessen ist. Diese Entscheidung liegt vielmehr ausschließlich beim Sozialversicherungsträger, ohne dass dem Schädiger hiergegen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht oder dem Zivilgericht erwüchse.
Rz. 290
Das Rückgriffsrecht der Versicherungsträger gegen den Unternehmer bzw. den schädigenden Arbeitskollegen gemäß § 110 SGB VII geht weiter als die Haftung der Genannten gegenüber dem Verletzten. Einerseits greift die Haftung nicht nur bei vorsätzlicher Herbeiführung des Unfalls ein. Vielmehr genügt bereits grobe Fahrlässigkeit. Zum anderen haftet der Unternehmer ebenso wie der schädigende Arbeitskollege für sämtliche Aufwendungen des Versicherungsträgers.
Rz. 291
Vor dem nach § 110 SGB VII erforderlichen Verschulden des Schädigers ist zu prüfen, ob das Haftungsprivileg der §§ 104, 105 SGB VII zugunsten des Unfallverantwortlichen eingreift, denn bei dem über § 110 SGB VII Anspruchspflichtigen muss es sich um eine Person handeln, deren Ersatzpflicht durch die § 104 oder 105 SGB VII beschränkt ist. Die Inanspruchnahme setzt im Übrigen voraus, dass die Haftung der Verantwortlichen nach den §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen ist, das heißt sämtliche Tatbestandsmerkmale der Haftungsausschlussbestimmungen müssen erfüllt sein. Ausgeschlossen oder beschränkt ist die Haftung des Schädigers immer dann, wenn für den Sozialversicherungsträger die Geltendmachung eines derivativen Rückgriffs ausscheidet.
Rz. 292
Anspruchsberechtigt im Sinne des § 110 SGB VII ist der Sozialversicherungsträger. Mangels einer die Gleichstellung anordnenden Vorschrift, die entsprechend § 116 Abs. 10 SGB X die Bundesagentur für Arbeit den Sozialversicherungsträgern gleichstellt, kommt eine Gleichstellung im Rahmen des § 110 SGB VII nicht in Betracht. Eine analoge Anwendung des § 116 Abs. 10 SGB X scheidet aus.