Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 39
Wie dargelegt (Rdn 33) sind nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII gegen Arbeitsunfall Personen versichert, die wie ein nach Abs. 1 Versicherter tätig werden; dies gilt auch bei einer vorübergehenden Tätigkeit.
Rz. 40
Die Vorschrift steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Frage, ob ein Verunglückter als Versicherter in einen fremden Betrieb wie ein Arbeitnehmer "eingegliedert" ist, sodass die Haftungsprivilegierung zugunsten des Unternehmers und Angehörigen des Fremdbetriebs zu beachten ist.
Rz. 41
In der Rechtsprechung des BSG hat § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII nur im Zusammenhang mit dem Versicherungstatbestand nach Abs. 1 Nr. 1 Bedeutung erlangt. Bei der Auslegung geht es daher im Wesentlichen darum, den Kreis der arbeitnehmerähnlichen Personen und Tätigkeiten näher zu definieren (Rdn 45).
Rz. 42
Aus dem das Wort "Ferner" verwendenden Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass es sich bei dem Kreis der versicherten Unfälle nach § 2 Abs. 2 im Verhältnis zu den Versicherungstatbeständen des Abs. 1 um eine zusätzliche Bestimmung handelt. Liegt mithin eine Versicherung nach Abs. 1 vor, so kommt Abs. 2 S. 1 nicht in Frage. § 2 Abs. 1 SGB VII hat m.a.W. unbedingten Vorrang vor § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII, dem insoweit nur subsidiäre Bedeutung zukommt. Ergeben sich aus dem Unfallhergang mögliche Überschneidungen (z.B. Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII [Nothelfer] und vorübergehende Tätigkeit z.B. durch Hilfeleistung nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII), ist vorrangig Versicherungsschutz nach Abs. 1 zu prüfen. Ist dieser zu bejahen, entfällt die Anwendung des Abs. 2 S. 1.
Rz. 43
Dies hatte der Bundesgerichtshof bereits zur Rechtslage nach der RVO (Reichsversicherungsordnung) ausdrücklich entschieden: Bejaht ein Unfallversicherungsträger seine Einstandspflicht aus § 539 Abs. 1 Nr. 9a RVO a.F., so verneint er damit zugleich eine Zuordnung der Unfallverletzung zu einer nach § 539 Abs. 1 Nr. 1, § 539 Abs. 2 RVO a.F. versicherten Tätigkeit; an diese Entscheidung des Unfallversicherungsträgers ist der Zivilrichter nach § 638 RVO gebunden.
Rz. 44
Nichts anderes kommt für die vorgenannte Neuregelung in Betracht, weil diese ohne inhaltliche Änderung an die RVO-Regelungen anknüpft. Auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts prüft vor Anwendung des § 2 Abs. 2 SGB VII das Bestehen eines Versicherungsschutzes nach Abs. 1.
Rz. 45
Allerdings bleibt auf die Gefahr der normativen Konturlosigkeit hinzuweisen: Da der weitere Begriff "Personen" in § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII weder näher beschrieben noch irgendwie eingegrenzt ist, ist daraus nur abzuleiten, dass die nach Abs. 2 versicherten Personen nicht in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Unternehmer stehen müssen. Insoweit liegt die rechtspolitische Intention der Vorschrift, die an die Vorgängerbestimmung (§ 529 Abs. 2 RVO) anknüpft, darin, aus sozialpolitischen und rechtssystematischen Gründen den Versicherungsschutz auf Tätigkeiten zu erstrecken, "die zwar nicht sämtliche Merkmale eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses aufweisen, in ihrer Grundstruktur aber einer abhängigen Beschäftigung ähneln, indem eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen". Darin liegt die grundsätzliche Gefahr einer Ausuferung des Versicherungsschutzes, der die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, obgleich sie zur Entstehung einer "überbordenden" Falljudikatur geführt hat, mit der Verankerung von näheren Vorgaben zu begegnen sucht, die an den Versicherungsschutz im Sinne des § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII geknüpft sind. Es muss danach, selbst wenn es sich um eine bloß vorübergehende Tätigkeit handelt, um eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit gegeben sein, die ungeachtet ihres Beweggrundes ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, die in einem von Abhängigkeit geprägten Beschäftigungsverhältnis steht.
Rz. 46
Einzelfälle aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII (§ 539 Abs. 2 RVO a.F.):
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Die Tätigkeit muss ernstlich dem fremden Unternehmen zu dienen bestimmt sein. Es reicht nicht aus, dass die unfallbringende Tätigkeit einer anderen Person oder einem anderen Unternehmen objektiv nützlich war. Notwendig ist, dass der Handelnde auch subjektiv ein Geschäft des anderen besorgen, also fremdnützig tätig sein wollte. |
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Die Handlungstendenz des Betroffenen muss fremdwirtschaftlich auf die Belange des Unternehmens gerichtet sein. Dies ist nicht gegeben, wenn wesentlich eigene Angelegenheiten verfolgt werden (z.B. Selbsternten gekauften Obstes für den eigenen Haushalt). Die Tätigkeit muss für den Unternehmer wirtschaftlich nicht wesentlich ins Gewicht fallen. |
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In der Regel i... |