Rz. 48
Die Frage, ob die Aufnahme außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen ratsam ist, lässt sich nicht allgemein gültig beantworten. Mancher Arbeitnehmer ist besonders an einer zügigen Erledigung der Streitigkeit interessiert. Zum Teil drängen Mandanten auch deshalb auf den Versuch einer außergerichtlichen Einigung, weil sie die mit dem Eintritt in Verhandlungen vor Gericht oftmals einhergehende Verschlechterung der menschlichen Beziehungen befürchten, mit der Folge, dass der Arbeitgeber abwertende Äußerungen über den Arbeitnehmer gegenüber potenziellen neuen Arbeitgebern tätigt.
Rz. 49
Ein guter Grund, außergerichtliche Vergleichsverhandlungen aufzunehmen, kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer bereits ein neues Beschäftigungsverhältnis gefunden hat oder gerade im Begriff ist, ein solches zu begründen. Zum Zeitpunkt der erst in einigen Wochen stattfindenden Güteverhandlung kann sich die Tatsache des Antritts der neuen Arbeitsstelle bereits zu dem "alten" Arbeitgeber herumgesprochen haben, der dann häufig nicht mehr bereit sein wird, eine Abfindung zu zahlen. Der Arbeitnehmer muss dann auch damit rechnen, dass der Arbeitgeber erklärt, aus der Kündigung keine Rechte mehr herzuleiten, und ihn zur Wiederaufnahme der Arbeit auffordert, so dass der Arbeitnehmer in die missliche Lage gerät, sich zwischen "altem" und "neuem" Arbeitsverhältnis entscheiden zu müssen. Bei einer zügigen Aufnahme von Vergleichsverhandlungen besteht die Chance, dass dem Arbeitgeber die Anschlussbeschäftigung noch unbekannt ist und die Verhandlungen damit zu einem für den Arbeitnehmer günstigeren Ergebnis geführt werden können.
Rz. 50
Stets ist auch zu bedenken, dass in einem frühen Verfahrensstadium regelmäßig Verhandlungen mit dem Arbeitgeber selbst möglich sind, der sich zu diesem Zeitpunkt meist noch nicht durch einen Rechtsanwalt oder einen Justiziar eines Arbeitgeberverbandes vertreten lässt. Hat sich erst einmal ein Rechtsanwalt für den Arbeitgeber legitimiert, was in der überwiegenden Zahl der Fälle bereits zur Güteverhandlung geschieht, ist die Führung von Vergleichsverhandlungen aus standesrechtlichen Gründen nur noch mit diesem möglich (§ 12 Abs. 1 BORA).
Rz. 51
Arbeitgeber, die nicht Verbandsmitglieder sind und mangels entsprechender Rechtsschutzversicherung auch die Kosten eines Rechtsanwaltes selbst tragen müssten, können ggf. bei Aufnahme außergerichtlicher Verhandlungen darauf aufmerksam gemacht werden, dass bei einer zügigen einvernehmlichen Regelung die Kosten des anwaltlichen Beistandes (die gem. § 12a ArbGG selbst im Fall des Obsiegens für die erste Instanz nicht erstattungsfähig sind) vermieden werden können.
Rz. 52
Praxishinweis
Es ist nicht außer Acht zu lassen, dass die Verhandlungsführung eines gewissen Fingerspitzengefühls bedarf. Gerade dann, wenn der Arbeitnehmer bereits eine neue Anstellung gefunden hat, besteht die Gefahr, dass ein gewiefter Arbeitgeber(-vertreter) diese Umstände erahnt und sich zur Zahlung einer nennenswerten Abfindung nicht mehr bereit zeigt. Der Arbeitnehmervertreter muss deshalb den Eindruck vermeiden, die vorgerichtliche Kontaktaufnahme geschehe aus einer Position der Schwäche heraus.