I. Verhalten des Arbeitnehmers
Rz. 82
Auch in der Zeit nach dem Scheitern der Güteverhandlung sollte der Arbeitnehmer, wenn er ein neues Beschäftigungsverhältnis begründen kann, darauf achten, dass dies dem Arbeitgeber nach Möglichkeit nicht zur Kenntnis gelangt. Zwar sind regelmäßig Annahmeverzugslohnforderungen für den Zeitraum bis zur Begründung des neuen Beschäftigungsverhältnisses angefallen, jedoch fehlt es an ernsthaften zukünftigen Risiken.
Rz. 83
Hat der Arbeitnehmer eine betriebsbedingte Kündigung erhalten, wird sein anwaltlicher Vertreter ihm empfehlen, Kenntnisse darüber zu gewinnen, wie der Arbeitgeber mit dem vorgeblich weggefallenen Arbeitsplatz verfährt. Ein bewährtes Mittel ist insbesondere die Durchsicht von Tageszeitungen und Jobbörsen sowie die Nachfrage bei der zuständigen Agentur für Arbeit in Bezug auf Stellenangebote des Arbeitgebers. Gelingt es dem Arbeitnehmer, eine Stellenanzeige zu finden, in der sein Arbeitgeber im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung eine Beschäftigung mit vergleichbarem Anforderungsprofil anbietet, ist die Kündigung in den meisten Fällen rechtlich nicht mehr haltbar.
Rz. 84
Auch Stellenanzeigen für geringwertigere, aber dem Arbeitnehmer zumutbare Arbeitsplätze beim Arbeitgeber sind im Kündigungsschutzprozess von Bedeutung. Die Kündigung ist auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat (§ 1 Abs. 2 S. 3 KSchG). Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer freie anderweitige Arbeitsplätze anbieten, und zwar nicht nur im Betrieb, sondern bezogen auf das gesamte Unternehmen. In Ausnahmefällen ist unter bestimmten Voraussetzungen eine konzernweite Weiterbeschäftigungspflicht denkbar. Soweit sich die Arbeitsbedingungen hierdurch ändern und die Änderung nicht durch arbeitgeberseitige Ausübung des Direktionsrechts herbeigeführt werden kann, ist eine Änderungskündigung – gegebenenfalls auch auf einen geringwertigeren Arbeitsplatz – auszusprechen. Das Angebot einer bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit kann lediglich in Extremfällen (z.B. offensichtlich völlig unterwertige Beschäftigung) unterbleiben. Gerade in größeren Unternehmen mit mehreren Betrieben kann dieser Unwirksamkeitsgrund leicht auftreten, wenn von Seiten des Arbeitgebers derartige freie Plätze aufgrund mangelnder Organisation unberücksichtigt bleiben.
Rz. 85
Oftmals wird aber von Arbeitnehmerseite verkannt, dass konkreter Sachvortrag zu freien Arbeitsplätzen im Unternehmen erforderlich ist, um die Kündigung insoweit erfolgreich angreifen zu können. Zwar liegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine anderweitige Beschäftigung nicht möglich oder zumutbar ist, beim Arbeitgeber, § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG. Wenn aber der Arbeitnehmer nur den Wegfall seines bisher innegehabten Arbeitsplatzes bestreitet, reicht der pauschale Vortrag des Arbeitgebers aus, eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz im Unternehmen sei nicht möglich. Daraufhin muss der Arbeitnehmer konkret darstellen, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung im Unternehmen vorstellt. Er muss also aktiv werden und Informationen über freie Arbeitsplätze im Unternehmen zu gewinnen versuchen, sei es über den Betriebsrat, sei es über Kollegen oder eben durch die Suche nach Stellenanzeigen des Arbeitgebers.
II. Weiterbeschäftigungsantrag und arbeitgeberseitig angebotene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Rz. 86
Spätestens im Vorfeld der Kammerverhandlung ist zu prüfen, inwieweit ein Antrag auf Weiterbeschäftigung sinnvoll erscheint. Dazu zählen fraglos diejenigen Fälle, in denen der Arbeitnehmer vor allem seinen Arbeitsplatz erhalten will. Der Weiterbeschäftigungsantrag kann auch ein Mittel darstellen, um im Rahmen von Abfindungsverhandlungen den Druck auf den Arbeitgeber zu erhöhen. Das setzt voraus, dass der Arbeitnehmer ernstlich gewillt ist, an seinen Arbeitsplatz – zumindest für eine gewisse Zeit – zurückzukehren. Die konsequente Verfolgung und Vollstreckung eines erstinstanzlich ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsanspruchs kann zu einem Ansehensverlust des Arbeitgebers bei Teilen der Belegschaft führen, wenn der Eindruck entsteht, dem Arbeitgeber gelinge es trotz aller Bemühungen nicht, das Arbeitsverhältnis zu dem betreffenden Arbeitnehmer zu beenden.
Rz. 87
Der Arbeitgeber besitzt andererseits die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer von sich aus eine befristete Weiterbeschäftigung (sog. "Prozessbeschäftigung") anzubieten, um sein Annahmeverzugslohnrisiko zu mindern (im Einzelnen vgl. § 39 Rdn 52 ff.). Der Arbeitnehmer und sein Vertreter haben ...