Dr. Dirk Pohl, Dr. iur. Uwe Scholz
Rz. 17
Soweit ein Verwaltungsakt in formelle Bestandskraft erwachsen ist, d.h. mit ordentlichen Rechtsbehelfen nicht mehr anfechtbar ist, kann die Finanzbehörde nur noch in Ausnahmefällen einen berichtigenden Bescheid erlassen, soweit gesetzliche Vorschriften eingreifen. Die AO verfügt über ein zwar kompliziert anmutendes, aber ausdifferenziertes System von Korrekturvorschriften.
Rz. 18
Für sämtliche Verwaltungsakte gilt der Grundsatz, dass die Behörde sie wegen offenbarer Unrichtigkeiten (Schreib-, Rechen- oder sonstigen mechanischen Versehen) gem. § 129 AO berichtigen kann. Ansonsten unterscheidet die AO einerseits zwischen den Steuerbescheiden (§ 157 AO) und den diesen gleichgestellten Bescheiden (insbesondere gesonderten Feststellungen, § 181 Abs. 1 AO, und Festsetzung von Steuermessbeträgen, § 184 Abs. 1 AO) sowie andererseits den sonstigen Verwaltungsakten (insbesondere Haftungs- und Duldungsbescheiden gem. § 191 AO). Auf die sonstigen Verwaltungsakte, die also nicht als Steuerbescheide einzustufen sind, finden die Korrekturvorschriften der §§ 130 und 131 AO Anwendung. Diese Vorschriften entsprechen im Wesentlichen den §§ 48, 49 VwVfG und sind daher dem Rechtsanwalt in aller Regel geläufig.
Dagegen sind die Berichtigungsvorschriften für den Steuerbescheid in den §§ 164, 165, 172 ff. AO für den nicht spezialisierten Berater regelmäßig Neuland. Dabei handelt es sich um die folgenden Regelungen:
a) Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung, § 164 AO
Rz. 19
Soweit der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, kann die Behörde den Steuerbescheid mit einer Nebenbestimmung versehen, nach der die Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. In diesem Fall kann das Finanzamt die Steuerfestsetzung innerhalb der Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO) jederzeit aufheben oder ändern. Auch der Steuerpflichtige kann gem. § 164 Abs. 2 AO jederzeit die Änderung des Bescheides beantragen. Es bedarf insofern bei einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Bescheid keines Einspruchs, um eine Änderung des Bescheides zu erreichen. Die Ablehnung des Änderungsantrags ist ihrerseits ein Verwaltungsakt, gegen den ein Einspruch zulässig ist. Bei einer Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung erwächst der Steuerbescheid also mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist nur in formelle, aber nicht in materielle Bestandskraft.
b) Vorläufige Steuerfestsetzung, § 165 AO
Rz. 20
Streng von dem Vorbehalt der Nachprüfung zu unterscheiden ist die vorläufige Steuerfestsetzung. Soweit der Steuerbescheid eine vorläufige Festsetzung enthält, bedeutet dies nicht, dass jederzeit eine Änderung zugunsten wie auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen möglich wäre. Vielmehr ist der Vorläufigkeitsvermerk auf bestimmte Punkte innerhalb der Steuerfestsetzung beschränkt, hinsichtlich derer eine Ungewissheit besteht. Welche Punkte dies sind, ist in der Begründung des Steuerbescheids näher aufgeführt. Nur im Hinblick auf diesen partiell als vorläufig gekennzeichneten Teil kann die Behörde die Steuerfestsetzung nach § 165 AO aufheben oder ändern. Eine Steuerfestsetzung kann u.a. auch dann vorläufig erfolgen, wenn das BVerfG die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist oder die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens vor dem EuGH oder BVerfG ist (§ 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 2a und 3 AO). Mit letztgenannter Regelung sollen Masseneinsprüche vermieden werden.
c) Änderung von Steuerbescheiden mit Zustimmung oder auf Antrag, § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO
Rz. 21
Das Finanzamt kann einen endgültigen Bescheid mit Zustimmung oder auf Antrag des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten als auch zu dessen Ungunsten aufheben oder ändern, soweit der Steuerpflichtige vor Ablauf der Einspruchsfrist einen Antrag gestellt bzw. seine Zustimmung erteilt hat. Werden in einem auslegungsbedürftigen Schreiben genau bestimmte Änderungen beantragt, denen das Finanzamt entsprechen will, ist von einem Antrag auf schlichte Änderung auszugehen, andernfalls von einem Einspruch. Geht in einem Schätzungsfall innerhalb der Einspruchsfrist eine Steuererklärung ohne weitere Erklärung ein, so wird dies im Zweifel als Einspruch und nicht als Antrag auf schlichte Änderung zu werten sein. Nach Ablauf dieser Frist ist nach dieser Vorschrift nur noch eine Änderung zum Nachteil des Steuerpflichtigen möglich. Dieser wird jedoch nur sehr selten einer Änderung zu seinen Lasten zustimmen wollen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch das Einverständnis des steuerlichen Beraters mit der vom FA vorgeschlagenen Behandlung eines Sachverhalts bei der Schlussbesprechung einer Betriebsprüfung als Zustimmung zu einer Änderung i.S.v. § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO aufgefasst werden kann.