Dr. Dirk Pohl, Dr. iur. Uwe Scholz
aa) Prinzip: Untersuchungsgrundsatz
Rz. 139
Gem. § 76 Abs. 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Das Gericht ist gem. § 76 Abs. 1 S. 5 FGO an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Grds. beherrscht der Untersuchungsgrundsatz den Steuerprozess. Daraus folgt etwa, dass im Finanzgerichtsprozess aus einem Geständnis (anders als bei § 288 ZPO) und aus Terminversäumnis (anders als gem. §§ 330, 331 ZPO) für sich keine Folgen gezogen werden. Ein Versäumnisurteil ist unzulässig.
bb) Mitwirkungspflicht der Beteiligten
Rz. 140
Tatsächlich trägt das Gericht aber nicht die alleinige Sachaufklärungspflicht. Die Beteiligten, insbesondere auch das Finanzamt, haben eine Mitwirkungspflicht. Diese ergibt sich aus § 76 Abs. 1 S. 2–4 und aus § 76 Abs. 3 FGO. Denn nach § 76 Abs. 1 FGO sind die Beteiligten bei der Erforschung des Sachverhaltes von Amts wegen durch das Gericht "heranzuziehen". Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und wahrheitsgemäß abzugeben und sich auf Anfragen des Gerichtes zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären.
Rz. 141
Mitwirkungspflichten der Beteiligten ergeben sich auch aus den folgenden weiteren Vorschriften:
▪ |
den Anforderungen an die Klage gem. § 65 FGO; |
▪ |
dem Erfordernis, gem. § 77 FGO Schriftsätze zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung einzureichen; |
▪ |
der Möglichkeit der Fristsetzung zum Vortrag von Tatsachen gem. § 79b FGO; |
▪ |
der Möglichkeit der Anordnung des persönlichen Erscheinens von Beteiligten gem. § 80 FGO; |
▪ |
der Verpflichtung zur Erörterung der Streitsache mit den Beteiligten gem. § 93 FGO. |
Rz. 142
Für den Berater bedeutet die Mischung zwischen Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflicht Folgendes:
Zwar erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Dieser Pflicht steht jedoch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten gegenüber. Der Berater muss sich große Mühe geben, den Sachverhalt genau darzustellen. Finanzgerichtsprozesse gewinnt man selten mit originellen Rechtsansichten, sondern meist, indem man den Sachverhalt exakt erarbeitet und dem Gericht vorträgt. Dazu gehört, dass der Berater die Möglichkeit der Akteneinsicht – zumal durch das Verlangen, die Akten in sein Büro zu übersenden – ausschöpft. Das Finanzgericht muss den Sachverhalt unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel – gerade auch zugunsten des Steuerpflichtigen – soweit aufklären, dass die Sache spruchreif ist. Seine Untersuchungspflicht ist begrenzt durch den Gegenstand der Anfechtung, den bestimmten Verwaltungsakt. Zudem ist die Untersuchungspflicht begrenzt durch das Klagebegehren. Schließlich ist die Untersuchungspflicht begrenzt durch das Verhalten der Beteiligten. Es entspricht einhelliger Auffassung, dass auch innerhalb des Klagebegehrens das Finanzgericht nicht verpflichtet ist, den Sachverhalt ohne Rücksicht oder Anhaltspunkte im Vorbringen der Beteiligten zu erforschen. Die Nichterfüllung von Mitwirkungspflichten beeinflusst die Grenzen der Sachaufklärung durch das Gericht. Das Gericht ist aber verpflichtet, von sich aus solchen tatsächlichen Zweifeln oder Beweismitteln nachzugehen, die sich ihm nach Lage der Akten und dem Ergebnis der Verhandlungen aufdrängen müssen.
Rz. 143
Folge mangelnder Mitwirkung ist, dass das Gericht im Wege der Beweiswürdigung nachteilige Schlüsse ziehen darf. Erst wenn die Beweiswürdigung nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis führt, entscheiden die Regeln der objektiven Beweislast. Wenn die Voraussetzungen des § 162 AO gegeben sind, kann das Finanzgericht schätzen gem. § 96 FGO i.V.m. § 162 AO. Verletzt das Gericht seine Sachaufklärungspflicht, begeht es einen Verfahrensmangel gem. § 118 Abs. 3 FGO. Dieser kann zur Begründetheit einer Revision führen, wenn er wesentlich ist.