Dr. Dirk Pohl, Dr. iur. Uwe Scholz
aa) Freie Verhandlungs- und Beweiswürdigung des Gerichts
Rz. 144
Im Finanzgerichtsprozess gilt gem. § 96 FGO das Prinzip der freien Beweiswürdigung. Das Gericht muss das Gesamtergebnis der Verhandlung einbeziehen. Verletzungen von steuerlichen Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen können negativ für den Steuerpflichtigen wirken. Bei der Würdigung der Beweise muss das Gericht alle Umstände einbeziehen. Es darf nicht einzelne Gesichtspunkte herausgreifen. Der Sachverhalt ist als erwiesen anzusehen, wenn er sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt. Für den Steuerprozess gilt insofern nichts Besonderes – jedenfalls heute. Eine Verletzung der Belehrungspflicht gem. § 393 Abs. 1 S. 4 AO im Steuerstrafverfahren soll nicht zum Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren und damit auch nicht im Steuerprozess führen.
bb) Subjektive Beweislast
Rz. 145
Nach h.M. gibt es in den Verfahren mit Untersuchungsmaxime keine Darlegungs- und subjektive Beweislast (zu Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflicht des Beteiligten vgl. Rdn 141 ff.). Es gibt also grds. keine den Beteiligten obliegende Last, zur Vermeidung eines Prozessverlustes Tatsachen darzulegen und den Beweis von strittigen Tatsachen zu führen.
cc) Objektive Beweislast (Feststellungslast)
Rz. 146
Im Finanzgerichtsprozess gelten aber die Grundsätze der objektiven Beweislast (Feststellungslast). Zwar gibt es im öffentlichen Recht und insbesondere im Steuerrecht keine ausdrücklichen Vorschriften zur Beweislast. Aber der Grundsatz im Finanzgerichtsprozess ist unangefochten, dass jeder Beteiligte die Beweislast für das Vorhandensein aller (auch der negativen) Voraussetzungen der Normen trägt, ohne deren Anwendung ein Prozessbegehren keinen Erfolg haben kann. Die objektive Beweislast für steuerbegründende Tatsachen trägt grds. die Finanzbehörde. Der Steuerpflichtige trägt demgegenüber die objektive Beweislast für die Tatsachen, die Steuerbefreiungen, Steuerermäßigungen und sonstige Steuervergünstigungen begründen oder den Steueranspruch aufheben oder einschränken.
Rz. 147
Will z.B. das Finanzamt einen bestandskräftigen Steuerbescheid wegen neuer Tatsachen gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern, so trägt es grds. die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, dass die für die Änderung des Bescheides erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere dafür, dass diese neu sind; nur ausnahmsweise soll sich die Beweislast ändern, wenn der Steuerpflichtige schuldhaft und vorwerfbar den angegriffenen Steuerbescheid durch unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt hat oder wenn er, ohne Rücksicht auf Verschulden, Tatsachen verschwiegen hat, die anzugeben im Wesentlichen nur er in der Lage wäre.