Dr. Dirk Pohl, Dr. iur. Uwe Scholz
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 110
Im Ausgangsfall (siehe Rdn 1) hat sich das Finanzamt im Einspruchsverfahren nicht überzeugen lassen. Es erlässt am Donnerstag, 19.12.2019, die ablehnende Einspruchsentscheidung und verschickt diese wie üblich mit einfachem Brief per Post an M und F. Ein Bevollmächtigter hatte sich für die Eheleute nicht bestellt. Am Montag, 27.1.2020, faxen die Eheleute M und F ihrem Rechtsanwalt die Einspruchsentscheidung. Darin vertritt das Finanzamt die Meinung, dass die Unfallkosten auch deshalb keine Werbungskosten seien, da Herr M, einen großen privat veranlassten Umweg gefahren sei. Im Übrigen sei die Rechnung der Firma Kümpel bei weitem überhöht.
2. Rechtliche Grundlagen
Rz. 111
Die Anfechtungsklage ist auf die Aufhebung oder die Änderung eines Verwaltungsaktes, meist des Steuerbescheides, gerichtet, §§ 40 Abs. 1, 100 Abs. 2 FGO. Sie ist die typische Klage im Finanzgerichtsprozess. Die Anfechtungsklage hat keine aufschiebende Wirkung. Hat das Finanzamt im Einspruchsverfahren einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (vgl. Rdn 4 ff.) stattgegeben, ist in dem Bescheid regelmäßig bestimmt, dass die Aussetzung der Vollziehung einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung endet. In diesem Fall bedarf es aus Sicht der Finanzverwaltung keiner ausdrücklichen Rücknahme der Vollziehungsaussetzung. Das Finanzamt kann also die Zwangsvollstreckung aus der Steuerfestsetzung betreiben, obgleich das Klageverfahren anhängig ist. Insofern ist ein erneuter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung für das Klageverfahren erforderlich. Lehnt das Finanzamt den Antrag ab, was bei einer gut begründeten Klage selten vorkommt, wenn für das Einspruchsverfahren AdV gewährt wurde, hilft nur ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzgericht, § 69 Abs. 3 FGO (vgl. Rdn 159 ff.). Nach § 69 Abs. 2 FGO bleibt die Befugnis der Finanzbehörde, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides auszusetzen, auch bestehen, nachdem die Hauptsache vor dem Finanzgericht anhängig geworden ist. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Gericht ist nur zulässig, wenn die Behörde einen entsprechenden Antrag zuvor ganz oder zum Teil abgelehnt hat.
3. Checkliste: Anfechtungsklage
Rz. 112
Das Finanzgericht entscheidet über die Begründetheit der Klage nur, wenn diese zulässig ist. Die Klage muss also die positiven und negativen Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllen.
a) Finanzrechtsweg, § 33 FGO
Rz. 113
Der Weg zu den Finanzgerichten ist insbesondere offen in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und Bundes- oder Landesfinanzbehörden diese verwalten, § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Häufigster Fall sind die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis.
b) Erfolgloses Vorverfahren, § 44 Abs. 1 FGO
Rz. 114
Wie nach der VwGO (siehe dazu das Kapitel "Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht") ist vor dem Steuerprozess ein außergerichtliches Vorverfahren bei der Verwaltung durchzuführen.
c) Ausnahmen
Rz. 115
Ausnahmsweise kommt ein Prozess ohne Vorverfahren in Betracht: Untätigkeitsklage und Sprungklage. Die Sprungklage ist zulässig, wenn die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hat, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zustimmt. Stimmt die Behörde nicht zu, ist die Klage als außergerichtlicher Rechtsbehelf zu behandeln, § 45 Abs. 3 FGO. U.E. ist die Sprungklage nur in Ausnahmefällen zu empfehlen. Denn man begibt sich der Möglichkeit, im Einspruchsverfahren eine einvernehmliche Lösung zu erzielen. Die Untätigkeitsklage nach § 46 FGO ist möglich, wenn die Behörde über den Einspruch nicht in angemessener Frist sachlich entschieden hat, was regelmäßig nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des Rechtsbehelfs in Betracht kommt.
d) Richtige Klageart
Rz. 116
Der Kläger muss die richtige Klageart wählen: Anfechtungs-, Verpflichtungs-, Feststellungs-, sonstige Leistungsklage oder Fortsetzungsfeststellungsklage.
e) Umdeutung und Hinweispflicht
Rz. 117
Hat der Kläger die falsche Klageart gewählt, ist eine unrichtig bezeichnete Klage nicht ohne weiteres abweisungsreif. Es besteht die Möglichkeit der Umdeutung. Das Gericht trifft eine Hinweispflicht. Auf die Wortwahl kommt es nicht an; das Erklärte ist im Fall einer missverständlichen oder unrichtigen Bezeichnung auszulegen, evtl. umzudeuten. Der Vorsitzende hat gem. § 76 Abs. 2 FGO auf sachdienliche Anträge hinzuwirken. Das Gericht darf ab...