Dr. Dirk Pohl, Dr. iur. Uwe Scholz
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 91
Im Rahmen einer Außenprüfung in der italienischen Gaststätte "Albertos Pizzeria" wird festgestellt, dass Aufzeichnungen über den Umsatz vollständig fehlen. Stattdessen wurden sämtliche Steuererklärungen auf der Basis eines Rohgewinnaufschlagsatzes von 200 % auf den Wareneinkauf im Schätzungswege erstellt. Der Betriebsprüfer des Finanzamtes hält einen Rohgewinnaufschlagsatz von 200 % nur für die Speisen für angemessen, während er für die Getränke mit einem Aufschlagsatz von 350 % kalkuliert. Dies soll im Rahmen der Abschlussbesprechung verbindlich vereinbart werden.
2. Rechtliche Grundlagen
Rz. 92
Insbesondere in schwierigen Schätzungsfällen hat sich die tatsächliche Verständigung zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung durchgesetzt. Das Steuerrecht unterliegt dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, so dass es den Vergleich an sich nicht kennt. Jedoch ist spätestens seit der BFH-Entscheidung vom 11.12.1984 anerkannt, dass zwar eine Verständigung über Rechtsfragen nicht zulässig ist, man jedoch über tatsächliche Umstände eine bindende tatsächliche Verständigung treffen kann; sie soll möglich sein bei schwierig zu ermittelnden Sachverhalten.
a) Praxis
Rz. 93
Diese feine Unterscheidung verwischt die Praxis nahezu bis zur Unkenntlichkeit. Es ist oft möglich, eine Einigung in den Bereich des Tatsächlichen zu verlagern, auch wenn es sich im Grunde genommen um eine rechtliche Streitigkeit handelt. Voraussetzung einer tatsächlichen Verständigung ist neben einer Einigung über vergangene Sachverhalte (nicht einen erst zukünftig entstehenden Sachverhalt), dass auf Seiten der Finanzverwaltung an der tatsächlichen Verständigung ein für die Steuerfestsetzung zuständiger Beamter (Sachgebietsleiter, Vorsteher und u.U. der Leiter der Rechtsbehelfsstelle) teilnimmt. Im Rahmen der Schlussbesprechung einer Außenprüfung muss ein solcher Beamter zusätzlich anwesend sein. Der Betriebsprüfer selbst oder sein Sachgebietsleiter kann nicht in eigener Zuständigkeit eine tatsächliche Verständigung abschließen. Schriftform ist zwar nicht erforderlich, aber aus Beweisgründen zu empfehlen.
b) Bindung
Rz. 94
Soweit im Rahmen einer Betriebsprüfung eine tatsächliche Verständigung in zulässiger und wirksamer Weise getroffen wurde, ist die Finanzbehörde daran bereits vor Erlass der darauf beruhenden Steuerbescheide gebunden. Die Bindungswirkung tritt allerdings nur zwischen der jeweils handelnden Finanzbehörde und den unmittelbar beteiligten Steuerpflichtigen ein. Eine Erstreckung der Bindungswirkung auf Dritte, für die Steuerschulden im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung übernommen wurden, lässt sich mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren.
3. Muster: Tatsächliche Verständigung
Rz. 95
Muster 39.10: Tatsächliche Verständigung
Muster 39.10: Tatsächliche Verständigung
Nach Erörterung der Sachlage in der Abschlussbesprechung vom 23.9.2019 erklären das Finanzamt Bonn-Außenstadt, vertreten durch den Vorsteher/den zuständigen Sachgebietsleiter der Veranlagungsstelle und der Steuerpflichtige Gastwirt Alberto T., vertreten durch Herrn Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Berger, übereinstimmend und verbindlich, dass der Rohgewinnaufschlagsatz für das gesamte Kalenderjahr 2018 mit 200 % des Wareneinsatzes dieses Jahres für Speisen und mit 350 % des Wareneinsatzes dieses Jahres für Getränke angesetzt wird. Diese tatsächliche Verständigung ist für alle Beteiligten bindend. Die Beteiligten bzw. ihre durch Vollmacht ausgewiesenen Vertreter haben am _____ eine Ausfertigung der Niederschrift erhalten.
Bonn, 23.9.2019
(Unterschriften der Beteiligten)
4. Anmerkungen zum Muster
Rz. 96
Vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt BFH v. 21.8.2013...