Rz. 48

Die bereits oben angesprochene Erklärung, aus der Kündigung keine Rechte mehr herleiten zu wollen, beschränkt sich in ihrem taktischen Anwendungsbereich nicht auf die Fälle, in denen der Arbeitnehmer bereits eine neue Arbeitsstelle gefunden hat. Sie kann insbesondere auch dann sinnvoll sein, wenn die Kündigung an nicht zu übersehenden Mängeln leidet. Der Arbeitgeber gewinnt damit genug Zeit, um in dem zunächst unverändert fortgeführten Arbeitsverhältnis eine erneute Kündigung vorbereiten zu können. Die "Rücknahme" der Kündigung kann auch dann probat sein, wenn der Arbeitgeber die Arbeitskraft des betreffenden Arbeitnehmers nach wie vor nutzbringend einzusetzen vermag. Das scheint zwar auf den ersten Blick der Tatsache zu widersprechen, dass eine Kündigung ausgesprochen wurde, ist aber in der Praxis dennoch nicht selten. Es kann z.B. sein, dass ein Arbeitgeber betriebsbedingt und unter Beachtung der Regeln der durchzuführenden Sozialauswahl dem sozial am wenigsten schützenswerten Arbeitnehmer kündigt, den er wegen seiner Leistungen durchaus gern behalten hätte. Nun ergibt sich nach Ablauf der Kündigungsfrist aufgrund des Ausscheidens eines sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers derselben Abteilung mit vergleichbarem Arbeitsplatz die Möglichkeit, den Betreffenden weiterhin zu beschäftigen. In solchen Fällen erscheint es regelmäßig wenig sinnvoll, die Frage der Rechtmäßigkeit der Kündigung gerichtlich klären zu lassen und sich dabei finanziellen Risiken auszusetzen, die im Falle der "Rücknahme" der Kündigung nicht oder in weitaus geringerem Maße auftreten.

 

Rz. 49

Ebenso gibt es aber genügend Konstellationen, in denen die "Rücknahme" einer Kündigung nicht in Frage kommt, insbesondere weil die Arbeitskraft des betreffenden Arbeitnehmers für den Arbeitgeber keinen Wert darstellt, sei es, dass der Arbeitgeber objektiv keinen Bedarf an der Arbeitskraft des betreffenden Arbeitnehmers hat, sei es, dass Schlecht- und Minderleistungen, deutlich überdurchschnittliche Krankheitszeiten oder gar die Erzeugung von Schäden die weitere Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb als wenig wünschenswert erscheinen lassen (vgl. oben Rdn 17).

 

Rz. 50

Ob das Instrument der "Rücknahme" der Kündigung eingesetzt wird, bedarf regelmäßig – je nach der Länge der Kündigungsfrist – zügiger Entscheidung. Ist die Kündigungsfrist ausgelaufen, entwickelt sich nachfolgend ein Annahmeverzugslohnanspruch des leistungsbereiten und -fähigen arbeitslosen Arbeitnehmers. Wird die Kündigung erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt zurückgenommen, ist der Arbeitgeber zur Nachzahlung der bis dahin aufgelaufenen Löhne verpflichtet, ohne jedoch in dieser Zeit die Arbeitskraft des Arbeitnehmers in Anspruch genommen zu haben. Ein anwaltlich beratener Arbeitnehmer wird in diesen Fällen oft von seinem Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitskraft Gebrauch machen, sodass zunächst erhebliche Zahlungen erforderlich sind, bevor das Arbeitsverhältnis zu den alten Konditionen fortgesetzt werden kann.

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