I. Allgemeines

 

Rz. 19

Für die ordnungsgemäße Bezifferung der Schadensersatzansprüche eines Mandanten aus einem Verkehrsunfall ist es besonders wichtig, den Inhalt der gesetzlich geregelten Forderungsübergänge zu kennen. Ohne deren Kenntnis verliert der Anwalt eines Unfallgeschädigten schnell den Überblick, welche Schadensersatzansprüche für den Mandanten gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Schädigers tatsächlich noch durchgesetzt werden können und nicht bereits im Wege der Legalzession auf Dritte übergegangen sind.

 

Rz. 20

Die gesetzlichen Forderungsübergänge beruhen auf zwei Grundsätzen des Schadensersatzrechts:

1. Verbot der Doppelentschädigung

 

Rz. 21

Der Geschädigte und seine Hinterbliebenen sollen nicht doppelt entschädigt werden (BGH VersR 1984, 1191).

 

Rz. 22

Das bedeutet, dass der Geschädigte durch das Schadensereignis nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden darf als vor dem Schadensereignis. Dies folgt unmittelbar schon aus § 249 BGB, denn nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann nur der zur Herstellung des ursprünglichen Zustands erforderliche Geldbetrag verlangt werden. Der Geschädigte soll also nicht mehr und nicht weniger erhalten, als er ohne das schädigende Ereignis gehabt hätte (Differenzhypothese).

2. Ersatzleistungen Dritter – nicht anrechenbar

 

Rz. 23

Die Leistungen, die von außerhalb des Schadensereignisses stehenden Dritten erbracht werden, sollen dem Schädiger nicht zugutekommen und ihn nicht entlasten (BGH VersR 1983, 53; 1984, 639).

 

Rz. 24

Vorruhestandsgeldzahlungen, die auf einem Vorruhestandsabkommen beruhen, liegen außerhalb des Schadensereignisses und sind deshalb nicht übergangsfähig und auch nicht anrechenbar.

 

Rz. 25

Dieser zweite Grundsatz ist beispielhaft in § 843 Abs. 4 BGB normiert. Diese Vorschrift ist Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens, wonach der Schädiger nicht durch Leistungen Dritter entlastet werden soll (Steffen, Der normative Verkehrsunfallschaden, zfs 1995, 403).

 

Rz. 26

Diese beiden Grundsätze sind die tragenden Säulen für die in vielen Gesetzen normierten Forderungsübergänge.

II. Forderungsübergang auf Sozialleistungsträger

1. Umfang des Übergangs

 

Rz. 27

Nach § 116 Abs. 1 SGB X geht ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens auf die Sozialversicherungsträger oder Träger der Sozialhilfe über, soweit diese aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen haben, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen. Dazu gehören auch die Beiträge, die auf Sozialleistungen zu zahlen sind (§ 119 SGB X). Der Anspruch auf Ersatz des Beitragsausfalls zur Rentenversicherung (sog. Trägerbeiträge) kann sogar gegenüber dem Entschädigungsfonds (Verkehrsopferhilfe) im Sinne des § 12 Abs. 1 PflVG geltend gemacht werden (BGH zfs 2000, 201).

2. Sozialleistungsträger

 

Rz. 28

Sozialleistungsträger sind:

die klassischen Sozialversicherungsträger, also die gesetzlichen Krankenkassen, Rentenversicherer (Deutsche Rentenversicherung, Knappschaft), die Unfallversicherungsträger und die Pflegekassen,
die Träger der Sozialhilfe,
die Bundesagentur für Arbeit wegen Arbeitsförderungsmaßnahmen (Arbeitslosengeld nach §§ 117 ff. SGB III und Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, §§ 97 ff. SGB III).

3. Rechtsfolgen

 

Rz. 29

Das bedeutet, dass derjenige, der infolge eines Unfallereignisses sowohl zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger als auch Ansprüche gegen Sozialleistungsträger erworben hat, diese nicht nebeneinander (kumulativ) durchsetzen kann. Soweit der Geschädigte nämlich infolge des Unfallereignisses Sozialleistungen erhält, erwirbt der Sozialleistungsträger die Schadensersatzansprüche des Geschädigten gegen den Schädiger im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 116 Abs. 1 SGB X.

 

Rz. 30

 

Beispiel

Der Geschädigte erhält infolge des Verkehrsunfalls von seinem Rentenversicherungsträger eine Erwerbsunfähigkeitsrente nach § 44 SGB VI in Höhe von monatlich 900 EUR. Vor dem Unfall hatte er einen Nettoverdienst von 1.500 EUR. Gegen den Schädiger steht ihm damit grundsätzlich ein Verdienstausfallschaden von monatlich 1.500 EUR netto zu. Wegen der Rentenleistungen des Rentenversicherungsträgers in Höhe von 900 EUR verbleibt dem Geschädigten gegenüber dem Schädiger lediglich noch ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 600 EUR. In Höhe der Rentenleistungen von 900 EUR ist nach § 116 Abs. 1 SGB X sein Schadensersatzanspruch nämlich auf den Rentenversicherungsträger übergegangen.

III. Voraussetzungen des Anspruchsübergangs

 

Rz. 31

Nach § 116 Abs. 1 SGB X gehen die Schadensersatzansprüche jedoch nur insoweit auf den Sozialleistungsträger über, als diese

der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen (sachliche Kongruenz),
und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz (zeitliche Kongruenz) beziehen.

1. Sachliche Kongruenz

 

Rz. 32

Sachliche Kongruenz liegt vor, wenn die vom Sozialleistungsträger gewährten Leistungen beim Geschädigten einen sachlichen Bedarf decken, der infolge des vom Schädiger verursachten Schadens entstanden ist.

 

Beispiel

Die Heilbehandlungskosten, die von der gesetzlichen Krankenkasse oder der Berufsgenossensch...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?