Rz. 11
In verschiedenen Konstellationen steht das materielle Recht, das der Geschädigte geltend machen möchte, rechtlich nicht ihm selbst zu. In diesen Fällen ist es erforderlich, bei den Klageanträgen den Inhaber des materiellen Rechts zu berücksichtigen. Es handelt sich hierbei um Fälle der gewillkürten Prozessstandschaft.
Rz. 12
Deren Zulässigkeit setzt voraus, dass der Kläger ein eigenes rechtliches und wirtschaftliches Interesse an der Geltendmachung des fremden Rechts hat (BGHZ 96, 151, 152). Das ist insbesondere der Fall, wenn dem Kläger die eingeklagte Schadensersatzforderung letztlich zugutekommt, weil ein Fall des Drittschadens vorliegt (BGHZ 25, 250, 258). Beim Geschädigten eines Verkehrsunfalls bereiten die Zulässigkeitsvoraussetzungen der gewillkürten Prozessstandschaft daher in den nachfolgend genannten Fällen regelmäßig keine besonderen Probleme.
1. Leasingfahrzeug oder finanziertes Fahrzeug
Rz. 13
Ist aufgrund eines Leasing- oder Finanzierungsvertrages Eigentümer des Kfz der Leasinggeber oder die finanzierende Bank, an die das Fahrzeug sicherungsübereignet wurde, kann lediglich Zahlung an den Leasinggeber bzw. die Finanzierungsbank verlangt werden. Eine Geltendmachung der Ansprüche durch den Leasingnehmer bzw. Darlehensnehmer im eigenen Namen im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft aufgrund einer Ermächtigung des Leasinggebers bzw. der Finanzierungsbank ist regelmäßig möglich (BGH v. 7.3.2017 – VI ZR 125/16 – VersR 2017, 830).
2. Abgetretene Forderungen
Rz. 14
Häufig werden im Rahmen der Schadenabwicklung Reparaturkosten, Sachverständigenkosten, Mietwagenkosten etc. an die jeweiligen Leistungserbringer abgetreten, die dafür auf eine umgehende Zahlung – bzw. die Reparaturwerkstatt auf ihr Werkunternehmerpfandrecht – verzichten. Auch in diesen Fällen stehen die Forderungen materiell-rechtlich aufgrund der Abtretung nach § 398 BGB dem Geschädigten nicht mehr zu, sodass prozessual lediglich eine Freistellung von den gegenüber den Abtretungsempfängern bestehenden Verbindlichkeiten – also eine Zahlung unmittelbar an diese – geltend gemacht werden kann.
Zur Unwirksamkeit einer Abtretung (z.B. an einen Sachverständigen) mangels hinreichender Bestimmbarkeit, die sich auf "sämtliche Ansprüche des Geschädigten aus dem betreffenden Verkehrsunfall" bezieht, vgl. BGH v. 7.6.2011 (VI ZR 260/10 – VersR 2011, 1008).
In zwei Entscheidungen vom 21.6.2016 hat der BGH (VI ZR 475/15 – VersR 2016, 1330; VI ZR 476/15 – zfs 2017, 264) zur formularmäßigen Sicherungsabtretung an einen Sachverständigen entschieden, dass eine Abtretung des Schadensersatzanspruchs nicht nur bezogen auf die Schadensposition der Sachverständigenkosten, sondern (hilfsweise) auch auf weitere Schadenspositionen (wie Wertminderung, Nutzungsausfall, Nebenkosten und Reparaturkosten) als überraschende Klausel gem. § 305c Abs. 1 BGB unwirksam ist.
Ferner hat der BGH in einer noch jüngeren Entscheidung (BGH v. 17.7.2018 – VI ZR 274/17 – VersR 2018, 1460) festgestellt, dass eine "zur Sicherung erfüllungshalber" erfolgte Abtretung an den Sachverständigen jedenfalls wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot dann unwirksam ist, wenn in der Abtretungsklausel zugleich die Geltendmachung der Honorarforderung gegen den Abtretenden möglich bleibt sowie eine Weiterabtretung des Schadensersatzanspruchs vom Sachverständigen an einen Dritten (Inkasso) vorgesehen ist. Der BGH beanstandet insoweit zu Recht, dass im Falle der nach der Klausel ausdrücklich vorbehaltenen Geltendmachung des Honoraranspruchs gegen den Auftraggeber (nach Ablehnung der Zahlung aufgrund der Abtretung durch den gegnerischen Haftpflichtversicherer) nach der Zahlung keine Möglichkeit vorgesehen ist, wie der Auftraggeber seinen Schadensersatzanspruch zurückerhält, da eine – in der Klausel noch nicht einmal ausdrücklich vorgesehene – Rückabtretung dem Sachverständigen im Falle der Weiterabtretung gar nicht möglich ist.
3. Auf den Vollkaskoversicherer gem. § 86 VVG übergegangene Forderungen
Rz. 15
Soweit der Vollkaskoversicherer in Anspruch genommen wurde, gehen die entsprechenden Schadensersatzansprüche gegenüber dem Unfallgegner und dessen Haftpflichtversicherer gem. § 86 Abs. 1 VVG auf den Vollkaskoversicherer über. Falls in den AKB jedoch eine Klausel vereinbart ist, wonach eine Rückstufung des Vertrages vermieden werden kann, wenn der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer dem Kaskoversicherer die geleistete Entschädigung in vollem Umfang erstattet (so inzwischen auch in I.4.1.2 c) AKB 2015 der GDV-Musterbedingungen), liegt darin jedenfalls das eigene schutzwürdige Interesse des Versicherungsnehmers an der klageweisen Geltendmachung der auf den Vollkaskoversicherer übergegangenen Ansprüche, sodass die gewillkürte Prozessstandschaft zulässig sein soll (OLG Celle v. 8.8.2006 – 14 U 36/06 – SP 2007, 278; LG Wuppertal zfs 2015, 397). Streitig ist, ob in der vorgenannten Regelung der AKB auch bereits das Einverständnis des Versicherers zur gewillkürten Prozessstandschaft zu sehen (so die vorgenannte Entscheidung des LG Wuppertal) oder dieses gesondert vom Vollkaskoversicherer einzuholen ist (so Gebert/Holl/Mester, r+s 2020, 121, 124...