Rz. 80
Neben den im letzten Kapitel dargestellten Gründen, die eine Willenserklärung nichtig oder anfechtbar machen, gibt es eine Vielzahl gesetzlicher Bestimmungen, die die grundsätzlich gegebene Vertragsfreiheit der Parteien einschränken. Es handelt sich hierbei zumeist um Regelungen, die dafür sorgen sollen, dass eine wirtschaftlich starke Partei mit ihrer wirtschaftlichen Kraft einen schwächeren Partner nicht zu einem für ihn ungünstigen Vertragsschluss zwingen kann. Derartige Regelungen befanden sich schon von Anfang an als sog. "zwingende Normen" im BGB. Zum Zeitpunkt des Erlasses des BGB hat man jedoch die soziale Notwendigkeit von Schutzvorschriften zugunsten wirtschaftlich Schwächerer nicht in dem Maße gesehen hat, wie dies heute – auch aufgrund der Veränderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse – der Fall ist. Daher wurden diese Schutzrechte, nachdem sie zunächst von der Rechtsprechung entwickelt worden waren, zunächst durch spezielle Verbraucherschutzgesetze normiert. Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber eine Neuordnung herbeigeführt, indem er die Verbraucherschutzvorschriften schließlich in das BGB aufgenommen und sie europäischen Vorgaben angepasst hat.
I. Zwingende Rechtsnormen
Rz. 81
Das BGB enthält eine Vielzahl von Rechtsnormen, die wenigstens einen Mindestschutz wirtschaftlich oder auch intellektuell unterlegener Vertragsparteien garantieren sollen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte gem. § 138 BGB, das bereits erläuterte Schikaneverbot und das Gebot von Treu und Glauben. Daneben gibt es in den einzelnen Regelungen über bestimmte Vertragsverhältnisse zahlreiche spezielle zwingende Normen, d.h. durch Vertrag nicht zu beseitigende oder abzuändernde rechtliche Regelungen. Dies gilt in besonderer Weise im Recht der Wohnraummiete, im Dienstvertragsrecht, im Familienrecht etc. Eine Darstellung der zwingenden Normen enthalten die sich mit diesen Rechtsgebieten befassenden Kapitel dieses Buches.
II. Allgemeine Geschäftsbedingungen
1. Einführung
Rz. 82
Statt Vertragsbedingungen für jeden einzelnen Vertrag auszuhandeln, besteht bei immer wiederkehrenden Geschäften ein Bedürfnis, auf vorformulierte Vertragsbedingungen zurückzugreifen. Damit besteht aber die Gefahr, dass der Verwender der AGB einseitig für ihn günstige Vertragsbedingungen "diktiert" und der Vertragspartner sich darauf einlässt, weil er die AGB überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt oder keine Möglichkeit sieht, sich gegen den häufig wirtschaftlich überlegenen Verwender durchzusetzen.
AGB sind in der Praxis weit verbreitet und in manchen Branchen sogar geschäftsüblich (z.B. Mietrecht, Kfz-Kauf, Versicherungswesen). Den AGB kommt daher im vertraglichen Rechtsverkehr erhebliche Bedeutung zu. Das Recht der AGB ist in den §§ 305–310 BGB geregelt.
Rz. 83
Gem. § 305 Abs. 1 BGB versteht man unter AGB die für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (der Verwender der AGB) der anderen Partei bei Abschluss des Vertrages praktisch einseitig auferlegt, unabhängig von der Form oder dem Umfang dieser Bedingungen. Hinter dieser etwas umständlichen Formulierung verbirgt sich das landläufig bekannte "Kleingedruckte". Derjenige, der solchen allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ausgesetzt ist, ist in mehrfacher Hinsicht schutzbedürftig. Zum einen enthalten AGB meist so viele Regelungen, dass sie im Rahmen eines Vertragsabschlusses in aller Regel nicht gelesen werden oder gelesen werden können. Darüber hinaus verfügt der Verwender von AGB oft über erheblich mehr wirtschaftliche Macht als derjenige, der den AGB ausgesetzt wird, so dass de facto ein Aushandeln von Vertragsbedingungen, die von den in den AGB enthaltenen abweichen, nicht möglich ist.
Beispiel:
A kauft bei der Handelskette M ein Faxgerät. In den AGB der Handelskette heißt es, dass Ansprüche und Rechte bei Lieferung defekter oder fehlerhafter Ware nicht bestehen. Nach dem Auspacken der Anlage merkt A, dass das Gerät nicht funktioniert, weil infolge eines Transportschadens das Gehäuse zerbrochen ist. Wäre die Vertragsgestaltung wirksam, hätte A ein Rücktrittsrecht nur dann, wenn der Verkäufer den Defekt des Telefaxes arglistig verschwiegen hätte, § 444 BGB. Dies ist jedoch bei einem originalverpackten Gerät ersichtlich nicht der Fall. Das Ergebnis einer solchen Vertragsgestaltung ist jedoch unbillig. Zum einen dürfte A beim Kauf an der Kasse kaum die Zeit gehabt haben, sich mit den AGB der Handelskette eingehend zu beschäftigen, zum anderen hätte mit einer solchen routinemäßigen Vertragsgestaltung die Handelskette die Möglichkeit, alle zufälligen Beschädigungen und Mängel auf ihre Kunden abzuwälzen, ohne dass der Kunde tatsächlich die Möglichkeit hätte, auf die vertragliche Gestaltung Einfluss zu nehmen. Er könnte höchstens vom Kauf absehen.
2. Allgemeine Geschäftsbedingungen im BGB
Rz. 84
Sind die Vorschriften des BGB über die allgemeinen Geschäftsbedingungen anwendbar, so ist die Wirksamkeit der vertraglichen Bestimmungen, die in den AGB enthalten sind, an den §§ 307 ff. BGB ...