1. AGV und Fernabsatzvertrag als besondere Vertriebsformen
Rz. 95
Gem. § 312g BGB sind "außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge" (AGV i.S.d. § 312b BGB widerruflich. Das beruht auf der Befürchtung, dass Verbraucher an diesen "besonderen" Vertragsorten oftmals überrumpelt werden können und daher unbedacht und ohne hinreichende Abwägung Verträge schließen. Beispiele hierfür sind: Kaufverträge, die an der Haustür, bei häuslichen Verkaufspartys, am Arbeitsplatz oder bei sog. Kaffeefahrten (§ 312b I Nr. 4 BGB) geschlossen werden.
Rz. 96
Gem. § 29c Abs. 1 S. 1 ZPO ist für Klagen aus AGV i.S.d. § 312b mit dem Wohnsitzgerichtsstand des Verbrauchers ein besonderer Gerichtsstand gegeben. Für gegen den Verbraucher gerichtete Klagen ist das Gericht am Wohnsitz des Verbrauchers ausschließlich zuständig, § 29c Abs. 1 S. 2 ZPO.
Rz. 97
Außerdem sind gem. § 312g BGB auch sog. Fernabsatzverträge i.S.d. § 312c BGB widerruflich. Für das Vorliegen eines Fernabsatzvertrages müssen gem. der Begriffsbestimmung in § 312c Abs. 1 BGB zwei maßgebende Voraussetzungen erfüllt sein:
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Zum einen muss der Vertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (vgl. § 312c Abs. 2 BGB, z.B. Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, SMS, Telemedien etc.) abgeschlossen sein. |
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Zum anderen muss der Vertragsabschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt sein. Entscheidend ist dabei die Formulierung in § 312c Abs. 1 BGB ("es sei denn"), dass das Bestehen eines solchen Organisationssystems gesetzlich vermutet wird. |
Rz. 98
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Bei dieser besonderen Vertriebsform sieht man den Nachteil für den Verbraucher insbesondere darin, dass Geschäftsgegner und Geschäftsgegenstand sehr schwer einzuschätzen sind, da die Verträge unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln wie Post, Telefon, Telefax oder E-Mail geschlossen werden. |
Rz. 99
Sowohl bei AGV als auch bei Fernabsatzverträgen wird der Verbraucherschutz durch vielfältige Informationspflichten gem. §§ 312a, 312d, 312e und Art. 246, 246a, 246b EGBGB ergänzt.
2. Widerrufsrecht
Rz. 100
Die Widerrufsrechte stellen einen zentralen Teil des Verbraucherschutzes im BGB dar. Sie setzen keine Pflichtverletzung des Unternehmers voraus, sondern bieten dem Verbraucher die Möglichkeit, den abgeschlossenen Vertrag über §§ 355 ff. BGB rückabzuwickeln.
Rz. 101
Der Widerruf muss gem. § 355 Abs. 1 S. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer erfolgen. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf klar und eindeutig hervorgehen, § 355 Abs. 1 S. 3 BGB. Da der Entschluss zum Widerruf eindeutig hervorgehen muss, ist für die Ausübung des Widerrufs die Rücksendung der Ware nicht mehr ausreichend. Der Widerruf muss eine Begründung enthalten, § 355 Abs. 1 S. 4 BGB, und kann formlos, also etwa auch mündlich oder telefonisch erfolgen. Gleichwohl ist es weiterhin ratsam, z.B. in Textform (also per E-Mail) zu widerrufen, weil dem Verbraucher die Beweislast für einen rechtzeitigen Widerruf obliegt.
Rz. 102
Die normale Widerrufsfrist beträgt 14 Tage ab Vertragsabschluss, § 355 Abs. 2 BGB.
Wichtig: Bei Kaufverträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen oder im Wege des Fernabsatzes abgeschlossen wurden, beginnt die Frist gem. § 356 Abs. 2 BGB erst bei Erhalt der Ware zu laufen. Zusätzlich muss der Verbraucher ordnungsgemäß über die Widerrufsmöglichkeit belehrt worden sein, § 356 Abs. 3 i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB. Das Widerrufsrecht erlischt aber spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach Vertragsabschluss bzw. dem Erhalt der Ware.
Rz. 103
Macht der Verbraucher vom seinem Widerrufsrecht Gebrauch, möchte er in aller Regel auch seine Versandkosten erstattet bekommen. Zu unterscheiden sind dabei die Hinsendekosten, also die Kosten für den Versand vom Unternehmer zum Verbraucher, sowie die Rücksendekosten, also die Kosten für den Versand vom Verbraucher an den Unternehmer.
Seit einer Entscheidung des EuGH (Urt. v. 15.4.2010 – Az.: C-511/08) steht fest, dass die Hinsendekosten grundsätzlich vom Unternehmer zu tragen sind. Diese Regelung hat seit 13.6.2014 eine gesetzliche Grundlage in § 357 Abs. 2 S. 1 BGB gefunden. Der Verbraucher kann jedoch nur noch die Standardkosten für die Hinsendung verlangen. Etwaige Zusatzkosten, die z.B. für Express-Lieferungen entstehen, können nicht ersetzt werden.
Die Rücksendekosten sind im Grundsatz vom Verbraucher alleine zu tragen, unabhängig davon, welcher Warenwert gegeben ist. Alleinige Voraussetzung ist, dass der Verbraucher über seine Pflicht, die Kosten zu tragen, vorab im Rahmen der Widerrufsbelehrung gem. § 357 Abs. 6 S. 1 BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EGBGB aufgeklärt wurde. Fehlt es an dieser Aufklärung, trägt weiterhin der Unternehmer die gesamten Kosten der Rücksendung.
Hinweis
Beachtet werden muss die Besonderheit, dass Verbraucher auch nicht-paketversandfähige Ware künftig per Spedition zurücksenden müssen. Möchte der...