Rz. 467
Zitat
SGB VII § 110
Ein Sozialversicherungsträger kann wegen der von ihm erbrachten Aufwendungen beim Rückgriff nach § 110 SGB VII grundsätzlich auch auf den fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten gegen den nach den §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegierten Schädiger zurückgreifen.
a) Der Fall
Rz. 468
Die klagende Berufsgenossenschaft nahm die Beklagte wegen eines Arbeitsunfalls ihres Versicherten gemäß § 110 SGB VII in Anspruch.
Rz. 469
Der Versicherte stürzte am 25.5.2001 im Betrieb der Beklagten aus beträchtlicher Höhe ab und verletzte sich schwer. Aus Anlass dieses Unfalls erbrachte die Klägerin Leistungen in Höhe von ca. 32.700 EUR, von denen die Beklagte bzw. ihr Haftpflichtversicherer 15.000 EUR ersetzte. Die Parteien waren sich einig, dass die grundsätzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 110 SGB VII wegen einer groben Fahrlässigkeit auf Beklagtenseite vorlagen und von einem 50 %igen Mitverschulden des Versicherten auszugehen war. Sie stritten darüber, ob die Klägerin wegen der von ihr erbrachten Aufwendungen auch auf den fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten gegen die Beklagte zurückgreifen konnte.
Rz. 470
Mit der vorliegenden Klage machte die Klägerin einen weiteren Betrag von 15.000 EUR geltend, welcher dem – der Höhe nach unstreitigen – fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten gegen die Beklagte entsprach. Im der Berufungsinstanz hat das OLG die Beklagte zur Zahlung von 15.000 EUR nebst Zinsen verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 471
Das angefochtene Urteil hielt der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Zutreffend hatte das Berufungsgericht angenommen, dass ein Sozialversicherungsträger wegen der von ihm erbrachten Aufwendungen im Rahmen des § 110 SGB VII auch auf den fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten gegen den nach den §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegierten Schädiger zurückgreifen kann.
Rz. 472
Das Haftungsprivileg der §§ 104 ff. SGB VII bezweckt zum einen, mit der aus den Beiträgen der Unternehmer finanzierten, verschuldensunabhängigen Unfallfürsorge die zivilrechtliche auf Verschulden gestützte Haftung der Unternehmer abzulösen, indem sie über die Berufsgenossenschaften von allen dazugehörigen Unternehmen gemeinschaftlich getragen und damit für den jeweils betroffenen Unternehmer kalkulierbar wird. Sie dient dem Unternehmer als Ausgleich für die allein von ihm getragene Beitragslast. Zum andern soll mit ihr der Betriebsfrieden im Unternehmen zwischen diesem und den Beschäftigten sowie den Beschäftigten untereinander gewahrt werden. Dem liegt zugleich die Überlegung zugrunde, dass das Zusammenwirken im Betrieb je nach den daraus drohenden Gefahren leicht zu Schädigungen führen kann, so dass eine Haftung des Schädigers in der Regel als unbillig erscheint und nur dann Platz greifen soll, wenn ihn ein besonders schwerer Vorwurf trifft und deshalb eine Belastung der Versichertengemeinschaft nicht mehr vertretbar erscheint.
Rz. 473
Um die einer Berufsgenossenschaft angehörenden Unternehmen nicht über Gebühr zu belasten, hat der Gesetzgeber den Sozialversicherungsträgern einen Rückgriffsanspruch eingeräumt, weil diese dann für ihre Aufwendungen zu Lasten des verantwortlichen Schädigers (sei es der Unternehmer, sei es der Arbeitskollege) schadlos gestellt werden sollen, wenn der an sich nach den §§ 636, 637 RVO oder den §§ 104 ff. SGB VII Haftungsprivilegierte den Unfall durch ein besonders zu missbilligendes Verhalten herbeigeführt hat. Bei einem solchen Verhalten sind neben dem das Schadensrecht beherrschenden Ausgleichsgedanken auch präventive und erzieherische Gründe zu berücksichtigen.
Rz. 474
Diese Schadlosstellung hat der Gesetzgeber bis zum 31.12.1996 durch § 640 RVO verwirklicht. Nach dieser Vorschrift hafteten die durch § 636 oder 637 RVO privilegierten Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hatten, für alle Aufwendungen, die die Träger der Sozialversicherung nach Gesetz oder Satzung infolge des Arbeitsunfalls erbringen mussten, also nicht nur für Sozialleistungen des Sozialversicherungsträgers, sondern auch für dessen weitere Aufwendungen. Eine Begrenzung der Höhe nach bestand nicht. Auch wenn die Aufwendungen über den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch hinausgingen, musste der Schädiger sie in voller Höhe ersetzen. Nach dieser Regelung stand mithin der Refinanzierungsgedanke des Sozialversicherungsträgers und damit die Beitragsentlastung der Mitglieder bei der Schadenbereinigung im Vordergrund.
Rz. 475
Nach Überleitung des Unfallversicherungsrechts in das SGB VII ist der Regressanspruch der Sozialversicherungsträger für Unfälle ab dem 1.1.1997 in § 110 SGB VII geregelt. Nach dieser Vorschrift haften Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherung...