Rz. 484
Zitat
SGB VII § 110
Bei einem Rückgriff gemäß § 110 SGB VII trägt der Sozialversicherungsträger die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Höhe des fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Geschädigten gegen den nach §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegierten Schädiger.
a) Der Fall
Rz. 485
Die klagende Berufsgenossenschaft nahm den Beklagten wegen eines Arbeitsunfalls ihres Versicherten gemäß § 110 SGB VII in Anspruch.
Rz. 486
Der bei dem Beklagten beschäftigte Versicherte stürzte am 27.4.1999 aus einer Höhe von 5,5 m von einem Gerüst in eine Baugrube und verletzte sich schwer. Aus Anlass dieses Unfalls erbrachte die Klägerin Leistungen, von denen sie ca. 36.000 EUR von dem Beklagten ersetzt verlangte. Die Parteien waren sich einig, dass die grundsätzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 110 SGB VII wegen einer groben Fahrlässigkeit auf Beklagtenseite vorliegen.
Rz. 487
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Geschädigten nicht dargelegt habe und sie auf den fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Versicherten nicht zurückgreifen könne. Die dagegen gerichtete Berufung hatte zum Teil Erfolg. Das OLG hat den Beklagten zur Zahlung von 25.000 EUR verurteilt und dem Feststellungsbegehren hinsichtlich weiterer Aufwendungen der Klägerin – bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Versicherten – entsprochen. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 488
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2007, 260 veröffentlicht ist, folgte der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Senatsurt. BGHZ 168, 161, 163 ff.), wonach der Sozialversicherungsträger wegen der von ihm erbrachten Aufwendungen beim Rückgriff nach § 110 SGB VII grundsätzlich auch auf den fiktiven Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten gegen den nach den §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegierten Schädiger zurückgreifen kann. Aufgrund der unfallbedingten Verletzungen des Geschädigten sei dessen fiktiver Schmerzensgeldanspruch mit 25.000 EUR zu bemessen. Mit diesem Betrag seien die Rentenzahlungen der Klägerin für 1999/2000, 2001 und 2002 (insgesamt ca. 20.000 EUR), ihr im Jahre 2002 entstandene Gutachterkosten von ca. 400 EUR sowie ihre Rentenzahlungen für 2003 in Höhe von ca. 4.700 EUR ausgeglichen. Dass dem Geschädigten über den Schmerzensgeldanspruch hinaus ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zustehe, habe die Klägerin, die insoweit jedenfalls eine sekundäre Darlegungslast treffe, nicht dargelegt. Bei einem Rückgriff gemäß § 110 SGB VII trage der Sozialversicherungsträger die Beweislast hinsichtlich der Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs.
Rz. 489
Das angefochtene Urteil hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Das Berufungsgericht ging davon aus, die Klägerin habe nicht dargelegt, dass dem Geschädigten über seinen – von beiden Parteien nach Grund und Höhe nicht in Zweifel gezogenen – Schmerzensgeldanspruch hinaus ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch zustehe. Diese Beurteilung ließ keinen Rechtsfehler erkennen.
Rz. 490
Ohne Erfolg machte die Revision geltend, das Berufungsgericht habe die Grundsätze der so genannten sekundären Darlegungslast verkannt. Dies traf nicht zu. Derjenige, der im Rechtsstreit eine negative Tatsache darlegen und beweisen muss, kann sich zunächst auf deren schlichte Behauptung beschränken. Vorliegend war dem Vortrag des Beklagten zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Anspruchshöhe i.V.m. seinem Antrag auf Klageabweisung die Behauptung zu entnehmen, dass es an einem weiteren zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Versicherten fehle. Auch hatte das Berufungsgericht festgestellt, dass der Beklagte seine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit über die bereits bezahlten Beträge hinaus bestritten habe. Dieses Vorbringen genügte grundsätzlich zur Behauptung des Nichtbestehens eines weitergehenden Anspruchs.
Rz. 491
Allerdings traf die Klägerin im Streitfall nicht nur eine sekundäre Darlegungslast, sondern die primäre Darlegungs- und Beweislast.
Rz. 492
Die Frage, wer bei einem Rückgriff des Sozialversicherungsträgers nach § 110 SGB VII die Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs darlegen und beweisen muss, ist streitig. In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, der Sozialversicherungsträger könne über § 110 SGB VII seine Aufwendungen in voller Höhe geltend machen, während der Schädiger darlegen müsse, dass der (fiktive) zivilrechtliche Schadensersatzanspruch des Geschädigten niedriger sei. Demgegenüber sieht die Gegenmeinung die Darlegungs- und Beweislast auf Seiten des Sozialversicherungsträgers (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 110 SGB VII [Stand: März 2007] Rn 7.2; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicheru...