Rz. 603
Zitat
SGB VII § 110 Abs. 1 S. 1
1. Zum Anspruch eines Sozialversicherungsträgers auf Erstattung von Aufwendungen nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.
2. Die Pflicht, einen freiliegenden Treppenlauf auf einer Baustelle mit einer Absturzsicherung zu versehen, besteht nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 5 UVV "Bauarbeiten" erst bei einer an der jeweiligen Absturzkante zu messenden Absturzhöhe von mehr als einem Meter.
a) Der Fall
Rz. 604
Die Klägerin nahm als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung die Beklagten gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII auf Erstattung von Aufwendungen in Anspruch, die ihr durch einen Arbeitsunfall des Zeugen G. entstanden sind. Sie begehrt außerdem die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz der durch den Arbeitsunfall verursachten künftigen Aufwendungen.
Rz. 605
Die Beklagte zu 1 war Inhaberin eines Malerbetriebs; der Beklagte zu 2, ihr Ehemann, war dort als Malermeister und Bauleiter tätig. Am 15.11.2014 erlitt der bei der Beklagten zu 1 als Maler angestellte Zeuge G. (im Folgenden: der Geschädigte) auf einer Baustelle einen Arbeitsunfall, als er gegen 12.30 Uhr in einem Treppenhaus, in dem Treppengeländer nicht vorhanden waren und eine Absturzsicherung fehlte, seitlich von der – vom Podest aus gesehen – dritten Stufe von unten auf das Podest stürzte und sich erheblich an den Armen verletzte.
Rz. 606
Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb vor dem OLG ohne Erfolg.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 607
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Voraussetzungen für einen Aufwendungsersatzanspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII nicht gegeben.
Rz. 608
Nach § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII haften Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs.
Rz. 609
Die hier allein in Betracht kommende grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr erscheint eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet. Grobe Fahrlässigkeit lässt sich daher nicht allein mit der Verletzung der geltenden Unfallverhütungsvorschriften begründen. Nicht jeder Verstoß gegen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften ist schon als ein grob fahrlässiges Verhalten i.S.d. § 110 SGB VII zu werten. Vielmehr ist auch dann, wenn solche Verstöße gegen Sorgfaltsgebote vorliegen, eine Wertung des Verhaltens des Schädigers geboten, in die auch die weiteren Umstände des Einzelfalles einzubeziehen sind. So kommt es darauf an, ob es sich um eine Unfallverhütungsvorschrift handelt, die sich mit Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befasst und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat. Auch spielt insbesondere eine Rolle, ob der Schädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen oder von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen völlig abgesehen hat, obwohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren. Im letzteren Fall kann der objektive Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten ein solches Gewicht haben, dass der Schluss auf ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden gerechtfertigt ist.
Rz. 610
Freiliegende Treppenläufe und -absätze sind nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 der UVV darüber hinaus zu sichern bei mehr als 1,00 m Absturzhöhe. Im Streitfall betrug die Absturzhöhe nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von der dritten Stufe der vom Erdgeschoss in das erste Obergeschoss führenden Treppe, von welcher der Geschädigte stürzte, 50 cm. Eine Sicherungspflicht nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 der UVV bestand daher an dieser Stelle noch nicht.
Rz. 611
Entgegen der Auffassung der Revision war der vom Geschädigten betretene Treppenlauf auch nicht deshalb insgesamt zu sichern, weil er in seinem oberen Teil eine Absturzhöhe von über einem Meter erreichte. Zwar mag die Anbringung eines durchgehenden Seitenschutzes in einem solchen Fall unter Umständen sinnvoll und wünschenswert sein, damit der Nutzer der Treppe nicht an einem bestimmten Punkt ins Leere greift. Eine generelle Verpflichtung zur durchgehenden Sicherung des Treppenlaufes bis zum Boden lässt sich der UVV angesich...