Rz. 172
BGH, Urt. v. 14.10.2008 – VI ZR 36/08, VersR 2008, 1697
Zitat
BGB § 823 Abs. 1; ZPO § 139
a) |
Macht ein Unternehmen nach einem Verkehrsunfall keinen nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz übergegangenen Anspruch seines verletzten Fahrers auf Ersatz von dessen Verdienstausfallschaden geltend, sondern einen eigenen Schadensersatzanspruch wegen der ihm für den Einsatz eines Ersatzfahrers entstandenen Kosten, scheidet eine eigene Rechtsgutverletzung, die Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs im Sinne des § 823 BGB sein könnte, grundsätzlich aus. Ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb kommt wegen Fehlens eines betriebsbezogenen Eingriffs insoweit regelmäßig nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschl. v. 10.12.2002 – VI ZR 171/02, VersR 2003, 466). |
b) |
Eine unrichtige Rechtsansicht des Erstrichters (hier: über die Schlüssigkeit der Klage) lässt sich nicht auf dem Umweg über eine angebliche Hinweispflicht gegenüber den Parteien im Sinne des § 139 ZPO in einen Verfahrensmangel umdeuten (im Anschluss an BGH, Urt. v. 30.10.1990 – XI ZR 173/89, NJW 1991, 704). |
I. Der Fall
Rz. 173
Die Klägerin machte gegen die Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus einem Verkehrsunfall vom 17.6.2004 geltend, bei dem die Beklagte zu 1 mit ihrem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw in einem Kreuzungsbereich auf ein Fahrzeug der Klägerin aufgefahren ist. Sie begehrte die Kosten für einen Ersatzfahrer mit der Behauptung, dass der Fahrer ihres Fahrzeuges durch den Aufprall verletzt worden und infolge dieser Verletzung in der Zeit vom 18.6. bis 10.7.2004 ausgefallen sei.
Rz. 174
Das AG hat die Klage nach Einholung eines biomechanischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das LG zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
II. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 175
Das Berufungsgericht hatte ebenso wie die Vorinstanz das von dieser eingeholte unfallanalytische-biomechanische Sachverständigengutachten für ausreichend erachtet, um die Klage abzuweisen. Der Sachverständige sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Differenzgeschwindigkeit zum Kollisionszeitpunkt bei weitem unterhalb einer Toleranzgrenze gelegen habe, bei der die auf den Fahrer wirkende Belastung nicht mit beginnender Wahrscheinlichkeit die behaupteten Beschwerden verursacht haben könne.
Rz. 176
Das Berufungsurteil hielt in seinem Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Die Revision der Klägerin gegen das angefochtene Urteil war bereits deshalb zurückzuweisen, weil die Klage unschlüssig war.
Rz. 177
Die Klägerin machte keinen nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz auf sie übergegangenen Anspruch ihres angeblich verletzten Fahrers auf Ersatz seines Verdienstausfallschadens geltend, sondern einen eigenen Schadensersatzanspruch wegen der ihr für den Einsatz eines Ersatzfahrers entstandenen Kosten. Insoweit war jedoch eine eigene Rechtsgutverletzung der Klägerin nicht ersichtlich, die Voraussetzung eines eigenen Schadensersatzanspruchs im Sinne des § 823 BGB hätte sein können. Ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb kam nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats wegen Fehlens eines betriebsbezogenen Eingriffs nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschl. v. 10.12.2002 – VI ZR 171/02, VersR 2003, 466). Zu einer Änderung dieser Rechtsprechung – wie sie die Revision nahe legte – sah sich der Senat nicht veranlasst.
Rz. 178
Soweit die Revision meinte, die Instanzgerichte hätten durch einen unterlassenen Hinweis auf diese Rechtslage ihre Aufklärungspflicht im Sinne des § 139 ZPO verletzt und dadurch die Klägerin davon abgehalten, ihren Anspruch auch auf einen nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz auf sie übergegangenen Anspruch oder auf vorsorglich an sie abgetretene Ansprüche des verletzten Fahrers zu stützen, konnte dem nicht gefolgt werden.
Rz. 179
Maßgeblich für eine etwaige Verletzung der Aufklärungspflicht ist nämlich der materiell-rechtliche Standpunkt des Gerichts ohne Rücksicht auf seine Richtigkeit. Schon im Ansatz verfehlt ist es, eine unrichtige Rechtsansicht des Erstrichters auf dem Umweg über eine angebliche Hinweispflicht gegenüber den Parteien in einen Verfahrensmangel umzudeuten (vgl. BGH, Urt. v. 30.10.1990 – XI ZR 173/89, NJW 1991, 704). Die Revision wies insoweit selbst darauf hin, dass eine Haftung der Beklagten in den Tatsacheninstanzen außer Streit war. Die Vorinstanzen hatten somit ihre klageabweisenden Urteile gerade nicht auf einen Gesichtspunkt gestützt, den die Klägerin erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hatte, oder auf einen Gesichtspunkt, den die Gerichte anders beurteilt hatten als beide Parteien (vgl. § 139 Abs. 2 ZPO). Sie hatten lediglich eine HWS-Verletzung des Fahrers durch den Verkehrsunfall nicht als erwiesen erachtet. Da die Vorinstanzen mithin von der Schlüssigkeit des Klagevorbringens ausgegangen sind, bestand für sie keine Verpflichtung, über deren Unschlüssigkeit aufzuklären.