Rz. 412
BGH, Urt. v. 16.6.2015 – VI ZR 416/14, VersR 2015, 1140 = zfs 2016, 21
Zitat
SGB VI § 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; SGB X § 119 Abs. 1 S. 1 Hs. 1; SGB IX § 136 Abs. 1; BGB §§ 842, 843
1. |
Nimmt ein behinderter Mensch an Maßnahmen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen teil, wird durch die Aufnahme in die Werkstatt eine Rentenversicherungspflicht nach § 1 S. 1 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI begründet. |
2. |
Wenn der Rehabilitationsträger die Voraussetzungen für Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich bejaht hat und der behinderte Mensch auf dieser Grundlage in die Werkstatt aufgenommen wurde, kann die daran anknüpfende – und für die Legalzession nach § 119 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB X maßgebliche – Rentenversicherungspflicht nicht dadurch infrage gestellt werden, dass die der Aufnahme zugrunde liegende Prognose in Zweifel gezogen wird. |
I. Der Fall
Rz. 413
Der klagende Rentenversicherungsträger nahm den Beklagten aus übergegangenem Recht des Geschädigten wegen ausgefallener Rentenversicherungsbeiträge in Anspruch.
Rz. 414
Der beklagte Kreis haftete dem Grunde nach als Krankenhausträger für den auf einem ärztlichen Versäumnis beruhenden Hirnschaden des Geschädigten, den dieser im Zusammenhang mit seiner Geburt am 1.1.1990 erlitt. In den Jahren 2008 und 2009 nahm der Geschädigte zeitweise an einer Berufsbildungsmaßnahme in einer Werkstatt der Lebenshilfe teil. Die Maßnahme wurde am 15.9.2009 vorzeitig beendet, weil der Geschädigte nicht "werkstattfähig" war.
Rz. 415
Mit der Behauptung, ohne den Hirnschaden hätte der Geschädigte im Jahr 2010 aus einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung ein Einkommen in Höhe von 29.821,50 EUR erzielt, hatte die Klägerin vom Beklagten Ersatz entgangener Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 5.934,48 EUR (29.821,50 EUR x 19,9 %) nebst Zinsen verlangt. Ferner hatte sie die Feststellung begehrt, dass der Beklagte verpflichtet sei, ihr für die Zeit bis zum 31.12.2056 "im Rahmen der Übergangsfähigkeit nach § 116 SGB X" die künftig an den Geschädigten zu erbringenden schadensbedingten Aufwendungen und gemäß § 119 SGB X die weiteren unfallbedingten Beitragsausfälle zu ersetzen. Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG die Verurteilung auf einen Betrag von 5.340,89 EUR nebst Zinsen herabgesetzt und die Feststellungen auf den Zeitraum bis zum 31.12.2054 begrenzt. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Dagegen richtete sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten, mit der dieser seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgte.
II. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 416
Das angefochtene Urteil hielt revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 417
Mit Recht hatte das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht des Geschädigten nach § 119 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 Fall 2 SGB X in der seit dem 1.1.2001 geltenden Fassung einen Anspruch auf Ersatz ausgefallener Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung des Geschädigten für das Jahr 2010 (Zahlungsantrag) und die Folgejahre (Feststellungsantrag) hatte.
Rz. 418
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats gehören Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zum Arbeitseinkommen des pflichtversicherten Arbeitnehmers. Verliert ein solcher Arbeitnehmer aufgrund einer verletzungsbedingten Arbeitsunfähigkeit seine Beschäftigung und entfällt deshalb die Beitragspflicht, muss der eintrittspflichtige Schädiger gemäß den §§ 842, 843 BGB die Nachteile ersetzen, die dem Geschädigten durch diese Störung seines Versicherungsverhältnisses entstehen. Ist eine verletzungsbedingte Verkürzung späterer Versicherungsleistungen zumindest möglich, muss der Schädiger grundsätzlich schon bei Entstehung der Beitragslücken dafür sorgen, dass die soziale Vorsorge fortgesetzt wird und eine Verkürzung nicht eintritt. Zu diesem Zweck muss er, sofern das Rentenversicherungsrecht einen Weg zur Fortentrichtung von Beiträgen eröffnet, die ausfallenden Beiträge ersetzen. Hingegen kann er den Geschädigten nicht darauf verweisen, diesem bei Erreichen des Rentenalters selbst eine Altersversorgung zu gewähren. Denn ein derartiger schuldrechtlicher Anspruch wäre einer Rentenanwartschaft in der Sozialversicherung wirtschaftlich nicht gleichwertig. Diese Pflicht des Schädigers zur Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen besteht nicht nur, wenn der Geschädigte zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bereits Mitglied der Sozialversicherung war, sondern auch dann, wenn er, wäre es nicht zu dem schädigenden Ereignis gekommen, eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen hätte.
Rz. 419
Besteht danach ein Schadensersatzanspruch auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung, so geht dieser bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 SGB X auf den Versicherungsträger über. Die Legalzession dient dazu sicherzustellen, dass der Schaden des Verletzten durch Naturalrestitution ausgeglichen wird, ohne dass es des Umwegs über eine Ge...