Rz. 431
BGH, Urt. v. 30.6.2015 – VI ZR 379/14, VersR 2015, 1048
Zitat
SGB X § 116 Abs. 1, 10; BGB § 843 Abs. 1; SGB IX §§ 40, 42 Abs. 1 Nr. 1
Zwischen den von der Bundesagentur für Arbeit erbrachten Maßnahmekosten für die Beschäftigung eines geschädigten behinderten Menschen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen und dessen Anspruch auf Ersatz seines nach der Prognose entgehenden Verdienstes fehlt die für den Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X erforderliche sachliche Kongruenz.
I. Der Fall
Rz. 432
Der Kläger begehrte von der Beklagten die Erstattung eines Verdienstausfallschadens.
Rz. 433
Er erlitt aufgrund fehlerhaften Geburtsmanagements in der Klinik der Beklagten massive körperliche und geistige Schäden. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach stand außer Streit.
Rz. 434
Von Oktober 2011 bis einschließlich Dezember 2013 besuchte der Kläger eine Werkstatt für behinderte Menschen, wo er sich zunächst im Eingangsverfahren und anschließend im Berufsbildungsbereich befand. Seit Anfang Januar 2014 war der Kläger im Arbeitsbereich der Werkstatt beschäftigt. Als monatliches Ausbildungsgeld erhielt der Kläger in den ersten 13 Monaten 63 EUR, in den weiteren Monaten bis einschließlich Dezember 2013 75 EUR. Die von der Bundesagentur für Arbeit als Leistungsträgerin der Werkstatt erbrachten Maßnahmekosten betrugen monatlich mehr als 3.000 EUR.
Rz. 435
Die Höhe des Verdienstausfallschadens des Klägers – den dieser unter Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen sowie des erhaltenen Ausbildungsgelds berechnet hatte – stand zwischen den Parteien außer Streit. Streitig war alleine die Frage der Aktivlegitimation des Klägers. Die Beklagte vertrat insoweit die Auffassung, dass der Anspruch des Klägers auf Ersatz seines Verdienstausfallschadens gemäß § 116 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit als Leistungsträgerin der Werkstatt übergegangen sei. Denn die Maßnahmekosten für die Beschäftigung des Klägers in der Werkstatt für behinderte Menschen seien jedenfalls für die Zeit der Ausbildung des Klägers in der Werkstatt kongruent mit seinem Verdienstausfallschaden.
Rz. 436
Das LG hat die Klage mit Ausnahme des für den Monat September 2011 geltend gemachten Verdienstausfallschadens in Höhe von 418,50 EUR (zuzüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 128,52 EUR nebst Zinsen) abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Beklagte im Wesentlichen zur Zahlung des vom Kläger geltend gemachten Verdienstausfallschadens nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten und Zinsen verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils weiter.
II. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 437
Das angefochtene Urteil hielt revisionsrechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
Rz. 438
Zu Recht hatte das Berufungsgericht den Kläger hinsichtlich des von ihm geforderten Verdienstausfallschadens als aktivlegitimiert angesehen.
Rz. 439
Es war insbesondere zutreffend davon ausgegangen, dass der Anspruch des Klägers auf Ersatz seines Verdienstausfallschadens nicht gemäß § 116 Abs. 1 S. 1, Abs. 10 SGB X im Hinblick auf die von der Bundesagentur für Arbeit erbrachten Leistungen für die Beschäftigung des Klägers im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen übergegangen war.
Rz. 440
Das Berufungsgericht hatte im Ergebnis zutreffend eine sachliche Kongruenz der Erbringung der Maßnahmekosten seitens der Bundesagentur für Arbeit mit dem Verdienstausfallschaden des Klägers i.S.d. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X verneint.
Rz. 441
Sachliche Kongruenz besteht, wenn sich die Ersatzpflicht des Schädigers und die Leistungsverpflichtung des Sozialversicherungsträgers ihrer Bestimmung nach decken. Hiervon ist auszugehen, wenn die Leistung des Versicherungsträgers und der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz dem Ausgleich derselben Einbuße des Geschädigten dienen. Es genügt, wenn der Sozialversicherungsschutz seiner Art nach den Schaden umfasst, für den der Schädiger einstehen muss; es kommt nicht darauf an, ob auch der einzelne Schadensposten vom Versicherungsschutz gedeckt ist (vgl. Senatsurt. v. 25.6.2013 – VI ZR 128/12, BGHZ 197, 316 Rn 26; v. 3.5.2011 – VI ZR 61/10, VersR 2011, 946 Rn 14 m.w.N.; v. 18.5.2010 – VI ZR 142/09, VersR 2010, 1103 Rn 15 m.w.N.).
An einer solchen sachlichen Kongruenz fehlte es im Streitfall.
Rz. 442
Dabei konnte allerdings entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts dahinstehen, ob die Maßnahmekosten für die Beschäftigung des Klägers im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich der Werkstatt der Schadensgruppe der vermehrten Bedürfnisse oder des Erwerbsschadens, zu dessen Fallgruppe der Verdienstausfallschaden rechnet, zuzuordnen sind (vgl. Senatsurt. v. 27.1.2015 – VI ZR 54/14, VersR 2015, 598 Rn 18 f.) oder die Kriterien beider Fallgruppen erfüllen (vgl. Langenick, NZV 2007, 105, 110).
Rz. 443
Wie der Senat bereits betont hat, ist die S...