Rz. 22

Klagen auf Feststellung des Bestehens einer Vor- und Nacherbfolge sind – jedenfalls dann, wenn die letztwillige Verfügung nicht mit fachkundiger Unterstützung erstellt wurde – wegen der bei der Auslegung häufig auftretenden Unsicherheiten mit einem erheblichen Prozessrisiko verbunden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Begriffe "Vor-/Nacherbfolge" keine Verwendung gefunden haben. Bei einer von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern errichteten letztwilligen Verfügung ist zudem zu bedenken, dass nach § 2269 Abs. 1 BGB eine gesetzliche Vermutung für das Einheitsprinzip – also gegen die Anordnung von Vor- und Nacherbfolge – spricht. Wer sich als Nacherbe auf Letztere beruft, um bereits nach dem Tode des Erstversterbenden Erbe zu sein, trägt die volle Beweislast.[23]

 

Rz. 23

Als Alternative zum Prozess bietet sich das Erbscheinsverfahren an. Erbscheinsverfahren und streitiges Verfahren vor dem Prozessgericht schließen sich nicht gegenseitig aus, sind vielmehr nebeneinander zulässig.[24] Allerdings kann das Erbscheinsverfahren bis zum Abschluss des Klageverfahrens ausgesetzt werden.[25]

 

Rz. 24

Das Erbscheinsverfahren unterliegt dem Amtsermittlungsgrundsatz (§§ 342 Abs. 1 Nr. 6, 26 FamFG), was im Einzelfall von Vorteil sein kann.[26] Dem Erbschein kommt eine Vermutungswirkung zu: Es wird vermutet, dass demjenigen, welcher im Erbschein als Erbe bezeichnet ist, das im Erbschein angegebene Erbrecht zusteht und dass er nicht durch andere als die angegebenen Anordnungen beschränkt ist. Als Beschränkung kommt auch die Nacherbfolge in Betracht, vgl. § 352b FamFG. Soweit die Vermutung greift, gilt der Erbschein im Rechtsverkehr als richtig, § 2366 BGB.[27]

 

Rz. 25

Der Nachteil des Erbscheinsverfahrens liegt darin, dass die Entscheidungen des Nachlassgerichts nicht in Rechtskraft erwachsen. Eine Feststellungsklage bleibt auch nach Abschluss des Erbscheinsverfahrens ohne Weiteres zulässig.[28]

 

Rz. 26

Im Rechtsstreit unter Erbprätendenten ist das Prozessgericht demzufolge nicht gehindert, von den Feststellungen des Nachlassgerichts abzuweichen.[29] Ein erteilter Erbschein bringt keinen Vorteil, die Vermutung des § 2365 BGB greift hier nicht ein.[30]

[23] BGHZ 22, 364, 366; Baumgärtel/Schmitz, § 2269 BGB Rn 1–4.
[24] BGH FamRZ 2010, 1068, 1069; NJW 1983, 672, 674 unter 5.; Palandt/Weidlich, § 2353 Rn 77.
[25] BayObLG FamRZ 1999, 334, Palandt/Weidlich, § 2353 Rn 77.
[26] Weiterführend Zimmermann, ZEV 2010, 457.
[27] Zum Erbscheinsverfahren: Kroiß, in: Krug/Rudolf/Kroiß/Bittler, Anwaltformulare Erbrecht, § 7 Rn 203 ff.
[28] BGH FamRZ 2010, 1068, 1069; Palandt/Weidlich, § 2353 Rn 49, 77.
[30] Ausführlich zum Streitstand: Baumgärtel/Schmitz, § 2365 Rn 9–13; Staudinger/Herzog, § 2365 Rn 49 f., 50; Soergel/Damrau, § 2365 Rn 4; NK-BGB/Kroiß, § 2365 Rn 12; Palandt/Weidlich, § 2365 Rn 3; ders., § 2353 Rn 77; Damrau/Tanck/Uricher, § 2365 Rn 2; Lange/Kuchinke, § 39 VII 2 e; Ebenroth, Rn 1060; a.A. MüKo/J. Mayer, § 2365 Rn 21.

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