Rz. 74
Die Inbezugnahme von Regelungswerken wie Tarifverträgen, Richtlinien oder allgemeinen Bedingungen muss zur Vermeidung von Widersprüchen und Rechtsunsicherheiten sorgfältig geprüft und im Vertrag eindeutig und klar geregelt werden. Zu empfehlen ist eine gesonderte Klausel. Dies gilt umso mehr, als die AGB-Kontrolle bei Formularverträgen gem. § 310 Abs. 4 S. 1 BGB keine Anwendung auf Tarifverträge findet. Die Bereichsausnahme gilt nur bei vollständiger Inbezugnahme eines einschlägigen Tarifvertrages, nicht bei Abweichungen und Änderungen. Probleme können sich aus dem Transparenzgebot und der Unwirksamkeit von Überraschungsklauseln bei dynamischen Bezugnahmeklauseln im Hinblick auf die Ungewissheit der künftigen Tarifentwicklungen ergeben, ebenso für den Fall der späteren Beendigung der Tarifgebundenheit. Gerade im Hinblick auf die zunehmende Problematik flächendeckender Tarifverträge gegenüber betriebsbezogenen Regelungen ist bei der Inbezugnahme von Tarifverträgen "in der jeweils geltenden Fassung" Vorsicht geboten (zur Tarifvertragsklausel als notwendigem Vertragsinhalt nach dem Nachweisgesetz vgl. Rdn 60).
Rz. 75
Mit der Formulierung "die jeweils für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung" wird dynamisch auf die für den jeweiligen Arbeitgeber gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG normativ geltenden Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung verwiesen (sog. große dynamische Bezugnahmeklausel oder Tarifwechselklausel). Eine solche Bezugnahmeklausel ist weder überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB noch verstößt sie gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Inbezugnahme der kollektiven Regelungen des kirchlichen Arbeitsrechts kann durch eine ausdrückliche vertragliche Absprache oder durch eine Kettenverweisung erfolgen. Bei Letzterer verweist der Arbeitsvertrag auf eine kirchliche Arbeitsrechtsregelung oder auf einen kirchlichen Tarifvertrag, wobei dieses Bezugnahmeobjekt seinerseits auf nach dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht geschlossene Dienstvereinbarungen verweist oder auf andere Weise die Anwendbarkeit des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts voraussetzt. Eine solche Kettenverweisung ist regelmäßig weder überraschend i.S.d. § 305c BGB noch gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB intransparent. Enthält der Arbeitsvertrag eine zeitdynamisch ausgestaltete Verweisung auf die Vergütungsordnung eines abgelösten Tarifvertrages, wird die Verweisung infolge der Ablösung des tariflichen Regelungswerks zu einer statischen, weil das Bezugnahmeobjekt von den Tarifvertragsparteien nicht mehr weiterentwickelt wird. Ein damit verbundenes "Einfrieren" der Vergütung auf diesem Stand entspricht jedoch nicht dem Willen der Arbeitsvertragsparteien. Der Vertrag ist nachträglich lückenhaft geworden, weil die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf der Dynamik der tarifvertraglichen Vergütungsregelungen aufbaute. Diese nachträglich entstandene Regelungslücke ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Dabei tritt an die Stelle der lückenhaften Klausel diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Geschäftsbedingung bekannt gewesen wäre. Die Vertragsergänzung muss deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein. Maßgebender Zeitpunkt für die Feststellung und Bewertung des mutmaßlichen typisierten Parteiwillens und der Interessenlage ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, da die ergänzende Vertragsauslegung eine anfängliche Regelungslücke rückwirkend schließt. Das gilt auch, wenn eine Lücke sich erst nachträglich als Folge des weiteren Verlaufs der Dinge ergeben hat. Der Verweis auf die "jeweils" geltenden Tarifverträge regelt lediglich die zeitliche Dynamik der Bezugnahme, sagt aber nichts über deren inhaltliche Reichweite aus. Der Hinweis auf die für den Arbeitgeber "geltenden sonstigen einschlägigen" Tarifverträge kann mangels weiterer Anhaltspunkte nicht als "Öffnungsklausel" für Haustarifverträge verstanden werden. Ein verständiger und redlicher Vertragspartner des Arbeitgebers als des Verwenders der Klausel darf diese Formulierung als – lediglich – inhaltliche Einschränkung der Verweisung dahingehend verstehen, dass es sich insoweit nur um solche "sonstigen", d.h. außerdem, "sonst noch" anwendbaren Tarifverträge handeln sollte, die sich in ihrem inhaltlichen Regelungsbereich von denen des Tarifvertrages, auf den Bezug genommen wird, unterscheiden und diese nicht "verdrängen". Andernfalls käme der Regelung die Funktion einer Tarifwechselklausel zu. Eine kleine dynamische Verweisung kann jedoch über ihren Wortlaut hinaus nur dann als große dynamische Verweisung (Tarifwechselklausel) ausgelegt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen ergibt. Solche müssen dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel mit der gebotenen D...