Rz. 348
Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist eine ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen. Eine Kündigung ist nur dann i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG durch "dringende" betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, dem bei Ausspruch der Kündigung absehbaren Wegfall des Beschäftigungsbedarfs durch andere Maßnahmen – sei es technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art – als durch eine Beendigungskündigung zu entsprechen.
Kündigungsbegründende betriebliche Erfordernisse liegen nur dann vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den von ihm vertraglich geschuldeten Arbeitsplatz nicht mehr zur Verfügung stellen kann.
Es ist deshalb zunächst festzustellen, ob der Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers weggefallen ist. Eine Kündigung, die der Arbeitgeber wegen Wegfalls der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit erklärt, ist nicht durch ein dringendes betriebliches Erfordernis "bedingt", wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anderweitig beschäftigen kann. Bei der Prüfung einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit sind auch die Arbeitsplätze einzubeziehen, auf denen der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Auslaufens der Kündigungsfrist dem betrieblichen Weisungsrecht unterstehende Leiharbeitnehmer einsetzt. Tritt der Arbeitgeber einem dahingehenden Sachvortrag des Arbeitnehmers mit der Argumentation entgegen, der Einsatz von Leiharbeitnehmern erfolge jeweils nur kurzfristig und unstet bei einem Ausfall von Stammarbeitnehmern, so obliegt dem Arbeitgeber der Beweis, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Einsatz von Leiharbeitnehmern über den Kündigungstermin hinaus nicht absehbar war. Die Feststellung des Wegfalls des Arbeitsplatzes bereitet in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber nach wie vor die mit dem betreffenden Arbeitsplatz verbundene Arbeitsleistung in irgendeiner Form in Anspruch nimmt.
Rz. 349
Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, d.h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können. In welcher Weise ein Arbeitgeber darlegt, dass die Umverteilung von Arbeitsaufgaben nicht zu einer überobligatorischen Beanspruchung im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer führt, bleibt ihm überlassen. Handelt es sich um nicht taktgebundene Arbeiten, muss nicht in jedem Fall und minutiös dargelegt werden, welche einzelnen Tätigkeiten die fraglichen Mitarbeiter künftig mit welchen Zeitanteilen täglich zu verrichten haben. Es kann ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber die getroffenen Vereinbarungen zu Umfang und Verteilung der Arbeitszeit darstellt und Anhaltspunkte dafür darlegt, dass Freiräume für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben vorhanden sind.
Die Ursachen dafür, dass der Arbeitgeber die Arbeitskraft des Arbeitnehmers nicht mehr sachgerecht verwerten kann, können entweder im außerbetrieblichen oder im innerbetrieblichen Bereich liegen. Die außerbetrieblichen Ursachen werden dabei wesentlich durch das Marktgeschehen bestimmt, z.B. durch sinkende Nachfrage. Die innerbetrieblichen Ursachen werden durch betriebs- bzw. unternehmensinterne Entscheidungsprozesse bestimmt.
aa) Vorrang der Änderungskündigung
Rz. 350
Eine ordentliche Beendigungskündigung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Arbeitsbedingungen weiter beschäftigt werden kann. Das Merkmal der "Dringlichkeit" der betrieblichen Erfordernisse ist Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Ultima-Ratio-Prinzip), aus dem sich ergibt, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine sowohl diesem als auch ihm selbst objektiv mögliche anderweitige Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, ggf. zu geänd...