1. Typischer Sachverhalt
Rz. 285
Der Geschäftsführer der xy-GmbH erwähnt bei einem Anwaltsgespräch, dass ein Mitarbeiter jetzt schon zum zweiten Mal durch Fehlbearbeitung einen erheblichen Schaden in Höhe von ca. 5.100 EUR verursacht habe, das erste Mal etwa vor einem Jahr in Höhe von ca. 2.550 EUR. Der Mitarbeiter habe sich vor fünf Tagen erst nachmittags krankgemeldet und bis heute keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt.
Der Geschäftsführer fragt nach der Möglichkeit und den Voraussetzungen für zwei Abmahnungen und bittet um entsprechende Entwürfe.
2. Rechtliche Grundlagen
a) Begriff, Abgrenzung
Rz. 286
Mit einer Abmahnung übt der Arbeitgeber seine arbeitsvertraglichen Gläubigerrechte in doppelter Hinsicht aus. Zum einen weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rüge- und Dokumentationsfunktion). Zum anderen fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, sofern ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion).
Rz. 287
Eine Ermahnung liegt vor, wenn lediglich die Verletzung vertraglicher Pflichten gerügt wird (Rügefunktion), ohne zugleich für den Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen anzudrohen (Warnfunktion).
Rz. 288
Betriebsbußen sind betriebliche Ordnungsstrafen wie Verwarnung, Verweis oder Geldbuße, die dazu dienen sollen, Verstöße gegen die betriebliche Ordnung zu sanktionieren.
b) Abmahnung und Kündigung
Rz. 289
Die Notwendigkeit der Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 314 Abs. 2 i.V. m § 323 Abs. 2 BGB) und dem Ultima Ratio-Prinzip entsprechend dem in § 326 BGB enthaltenen Grundgedanken.
Einer Abmahnung bedarf es nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren einmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Eine solche Entbehrlichkeit der Abmahnung bei Kündigung im Vertrauensbereich hat das BAG insbesondere im Bereich der unerlaubten Handlungen angenommen wie bei einem Arbeitszeitbetrug auf der Grundlage einer negativen Zukunftsprognose. Von solchen Ausnahmefällen abgesehen fordert das BAG aber auch im Bereich der vertrauensbedingten Kündigung grundsätzlich eine vorherige Abmahnung, wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers beruht und das Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann. Das gilt insbesondere bei einer langjährigen Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreiem Verlauf. In einem solchen Fall prüft das BAG, ob die dadurch verfestigte Vertrauensbeziehung der Vertragspartner durch eine erstmalige Enttäuschung des Vertrauens vollständig und unwiederbringlich zerstört werden konnte. Die Abmahnung wird auch für den Fall der Änderungskündigung und Versetzung gefordert. Das gilt nicht für die Umsetzung, die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als das "mildere Mittel" gegenüber der Abmahnung angesehen wird.
Rz. 290
Für ordentliche Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes wie auch in der Probezeit entfällt nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Abmahnerfordernis, weil es auf eine Begründung der Kündigung nicht ankommt. Für die außerordentliche Kündigung gilt das grundsätzlich nicht. Allgemein anerkannt ist das Abmahnerfordernis bei leistungs- und verhaltensbedingten Kündigungen, insbesondere im Bereich des Ordnungsverhaltens, wobei sich diese Bereiche auch überschneiden können.
Rz. 291
Das BAG fordert aber auch bei der vertrauensbedingten Kündigung eine vorherige Abmahnung, wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers beruht und das Vertrauensverhältnis wieder hergestellt werden kann oder wenn der Arbeitnehmer habe annehmen können, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde nicht als kündigungsrelevant angesehen.
Ein Dauerschuldverhältnis kann ohne Pflichtverletzung regelmäßig nur dann aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn vorher eine erfolglose Abmahnung ausgesprochen wurde (§ 314 Abs. 2 S. 1 BGB). Nur ausnahmsweise ist eine Abmahnung entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen (§ 314 Abs. 2 S. 3 BGB). Eine Abmahnung ist entbehrlich, wenn d...