Rz. 58
Das vorstehende Beispiel unterscheidet sich nur geringfügig von dem bereits ausgeführten Beispiel eines Rahmenvertrags. Es wird keine Arbeitspflicht begründet; diese wird im Einzelfall erst durch eine weitere Vereinbarung geschaffen, deren Abschluss den Parteien freisteht. Deshalb ist es nur konsequent, derlei Vereinbarungen auf Grundlage der Rechtsprechung des BAG nicht als Arbeitsvertrag, sondern als dem jeweiligen Arbeitsvertrag vorgelagerten Rahmenvertag zu erachten, sofern sich nicht aus der Vertragsdurchführung ein einheitliches Arbeitsverhältnis ableiten lässt. Das zieht für die Praxis jedoch erhebliche Probleme nach sich, da der jeweilige Arbeitseinsatz dann i.d.R. auf Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrages erfolgt. Gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG bedarf dieser Arbeitsvertrag der Schriftform. Jedenfalls der zweite Arbeitseinsatz würde zudem dem Sachgrunderfordernis des § 14 Abs. 1 TzBfG unterliegen. Das macht Nullstundenverträge in der Praxis so gut wie nicht handhabbar. Allerdings ist ein solcher Nullstundenrahmenvertrag auch nicht unwirksam. Zunächst ist kein Grund ersichtlich, aus § 12 TzBfG abzuleiten, dass anstelle solcher Vertragskonstrukte ein Arbeitsverhältnis auf Abruf zu vereinbaren ist. In diesem Zusammenhang betont das BAG zurecht die Gestaltungsfreiheit der Vertragsparteien und hebt hervor, dass gerade auch der Arbeitnehmer anstelle von Abrufarbeit ein Interesse an dem Abschluss befristeter Arbeitsverhältnisse haben kann. Hierfür ist die Diskussion um gesteigerte Flexibilitätserwartungen auf Seiten der Arbeitnehmer unter dem Stichwort "Arbeitsrecht 4.0" weiterer Beleg. Damit besteht auch auf Grundlage der am 1.1.2019 in Kraft getretenen Fassung des § 12 TzBfG kein Grund, § 12 Abs. 1, 2 TzBfG (analog) auf Nullstundenrahmenverträge anzuwenden. § 307 Abs. 1 BGB steht ebenso der Wirksamkeit eines Nullstundenarbeitsvertrags nicht entgegen, sofern die konkrete Formulierung dem Transparenzgebot genügt. Denn solange der jeweilige Beschäftigungsumfang im Einvernehmen der Parteien festgelegt werden kann, wird das Beschäftigungsrisiko nicht einseitig auf den Arbeitnehmer verlagert.
Rz. 59
Anders ist die Rechtslage, sofern sich der Arbeitgeber in der Vereinbarung vorbehält, die Arbeitsleistung im Einzelfall anzuordnen. Ohne Ablehnungsrecht des Arbeitnehmers wird eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers – wenn auch in offenem Umfang – begründet. Das qualifiziert entsprechende Vereinbarungen als Arbeitsvertrag. Das führt zunächst zu der Frage, inwieweit § 12 Abs. 1, 2 TzBfG in der ab dem 1.1.2019 geltenden Fassung derlei Abreden entgegensteht. Zwar wird man schon vor dem Hintergrund der auch durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Vertragsfreiheit nach wie vor davon ausgehen müssen, dass § 12 Abs. 1 TzBfG lediglich einen Auffangtatbestand darstellt, der nur dann greift, wenn selbst im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aus der tatsächlichen Durchführung des Vertrages keine vertragliche Arbeitszeitdauer abgeleitet werden kann. Soll aber – so wie bei Nullstundenarbeitsverträgen – ausdrücklich keine Arbeitszeit festgeschrieben werden und sich aus der Vertragsdurchführung keine Arbeitszeitdauer ergeben, dürfte viel für einen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 TzBfG sprechen. Das ließ sich schon vor Inkrafttreten der Neufassung des § 12 TzBfG gut begründen, dürfte aber seit dem 1.1.2019 umso mehr gelten. Denn indem der Gesetzgeber die gemäß § 12 Abs. 1 TzBfG anzusetzende wöchentliche Arbeitszeit von 10 auf 20 Stunden erhöht, will er gerade einen Anreiz dafür setzen, dass die Vertragsparteien eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festlegen. Diese Zielsetzung dürfte insbesondere bei Nullstundenverträgen zum Tragen kommen. Damit laufen Nullstundenverträge erhebliche Gefahr, dass eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden zugrunde gelegt wird. Angesichts drohender Annahmeverzugsrisiken will eine Gestaltung, die keinerlei Anhaltspunkte für eine vertragliche Mindestarbeitszeit setzt, also gut überlegt sein. Das mag zwar den wechselseitigen Interessen insbesondere bei der Beschäftigung von Studenten häufig nicht entsprechen; der Gesetzgeber trägt derlei Interessenlagen aber gerade keine Rechnung. In gewissen Grenzen können KAPOVAZ-Abreden oder Arbeitszeitkontenmodelle Abhilfe schaffen.
Rz. 60
Die Frage, inwieweit die Angemessenheitskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB Nullstundenverträgen entgegensteht, dürfte angesichts der Neufassung von § 12 Abs. 1, 2 TzBfG in den Hintergrund treten. § 12 Abs. 1 TzBfG greift unmittelbar, sofern sich aus der Vertragsdurchführung keine Mindestarbeitszeit ablesen lässt. Ist eine Mindestarbeitszeit erkennbar, setzt künftig § 12 Abs. 2 TzBfG den gesetzlichen Rahmen. Damit kommt es nicht darauf an, ob es sich bei Nullstundenabreden um eine nicht kontrollfähige Hauptleistungsabrede i.S.d. § 307 Abs. 3 BGB handelt oder ob die Wertungen der Entscheidung des BAG vom 7.12.2005 zu Arbeit auf Abruf im Rahmen der Angemessenheitskontrolle heran...