Rz. 29

Das Interesse, die Arbeitszeit zu flexibilisieren, ist altbekannt und alles andere als ein neues Phänomen des "Arbeitsrechts 4.0". Schwankungen im Arbeitsbedarf sind typischer Bestandteil des Arbeitslebens und führen regelmäßig zur Frage einer angemessenen Risikoverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. § 615 BGB weist das Wirtschaftsrisiko zwar dem Arbeitgeber zu; gleichwohl hat das BAG[46] mit seiner wegweisenden Entscheidung vom 7.12.2005 das Interesse des Arbeitgebers an bedarfsorientierten Arbeitszeitsystemen im Rahmen des § 307 BGB grundsätzlich anerkannt. Das führt zu Gestaltungsmöglichkeiten, die anlässlich der Diskussion um das "Arbeitsrecht 4.0" wieder in den Fokus gerückt und nunmehr verstärkt auch durch ein Interesse der Arbeitnehmerschaft an einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung getrieben sind.[47]

 

Rz. 30

Im Vordergrund stehen hier erneut Regelungen der Tarifvertragsparteien und wegen § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG der Betriebsparteien. Die Arbeitsvertragsgestaltung ist vor dem Hintergrund des § 305 ff. BGB aber ebenso gefragt. Das führt in der Praxis zu einer Vielzahl an Regelungen, die an den unterschiedlichsten Bedürfnissen ausgerichtet sind.

Nachfolgend wird hieraus eine Auswahl getroffen, die für die Vertragsgestaltung einige Grundprinzipien erkennen lässt. Hierbei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden, zum einen Regelungen zur Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit, die mit einer variierenden Vergütung des Arbeitnehmers einhergehen, zum anderen Regelungen zur Lage der Arbeitszeit, die an eine verstetigte Vergütung anknüpfen:

[47] Siehe hierzu insgesamt Steffan, NZA 2015, 1409 ff.

1. Flexibilisierung der Dauer der Arbeitszeit

 

Rz. 31

Für Regelungen zur Dauer der Arbeitszeit, die mit einer variierenden Vergütung einhergehen, seien folgende Beispiele aufgeführt:

a) Arbeit auf Abruf

aa) Musterklausel

 

Rz. 32

Muster 4.3: Arbeit auf Abruf

 

Muster 4.3: Arbeit auf Abruf

(1) Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt mindestens _________________________ Stunden. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, auf Aufforderung der Arbeitgeberin je nach Arbeitsanfall bis zu _________________________ Stunden wöchentlich zu arbeiten. Die Vergütung des Arbeitnehmers erhöht sich für die über _________________________ hinausgehende Arbeitsleistung entsprechend nach der Anzahl der angeordneten Stunden.

[oder alternativ:

(1) Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt _____ Stunden. Die Arbeitgeberin ist berechtigt, je nach Arbeitsanfall die wöchentliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers auf bis zu _____ Stunden zu verringern. In diesem Fall reduziert sich die Vergütung entsprechend der verringerten wöchentlichen Arbeitszeit.]

(2) Die Arbeitgeberin wird Dauer und Lage der Arbeitszeit jedenfalls mindestens vier Tage im Voraus mitteilen (Abruf). Bei einem Abruf wird die tägliche Arbeitszeit drei aufeinanderfolgende Stunden nicht unterschreiten. Die Arbeitgeberin kann die Arbeitsleistung von _________________________ bis _________________________ in der Zeit von _________________________ bis _________________________ abrufen. Die Arbeitgeberin kann jederzeit nach billigem Ermessen gemäß § 106 GewO mit einer Ankündigungsfrist von _________________________ andere Referenztage und Referenzstunden festlegen, sofern die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigt werden.

(3) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, auf Aufforderung gegebenenfalls auch Über- und Mehrarbeit sowie Wochenend-, Sonn- und Feiertagsarbeit im gesetzlich zulässigen Rahmen zu leisten.[48]

[48] Muster angelehnt an die Formulierungsvorschläge bei Hohenstatt/Schramm, NZA 2007, 238, 240; Beck'sche Online-Formulare, Schimmelpfennig, 64. Edition 2023, 2.1.12.1 Arbeitsvertrag – Mindestarbeitszeit mit Erhöhungsmöglichkeit; Moll/Gragert/Katerndahl, Teil D § 14 Rn 83.

bb) Grundlagen

 

Rz. 33

Die vorstehende Regelung ist eine Spielart der sog. "Arbeit auf Abruf". Während die typische Arbeit auf Abruf, die sog. KAPOVAZ-Abrede,[49] die Lage der Arbeitszeit innerhalb eines festen Bezugszeitraums flexibilisiert, ermöglicht die vorstehende Musterklausel eine Erhöhung/Verringerung der Dauer der Arbeitszeit. Solche sog. Bandbreitenregelungen gehen auf die bereits zitierte Entscheidung des BAG vom 7.12.2005 zurück. Bandbreitenregelungen sind von Überstunden zu unterscheiden. Während Überstunden wegen bestimmter besonderer Umstände vorübergehend zusätzlich geleistet werden, begründen Bandbreitenregelungen eine selbstständige, nicht auf Unregelmäßigkeit oder Dringlichkeit beschränkte Verpflichtung, auf Anforderung des Arbeitgebers zusätzlich zu arbeiten.[50] In der Praxis fällt die Unterscheidung zwischen Arbeit auf Abruf und Überstunden nicht immer leicht. Im Ergebnis tendiert die Praxis dahin, Schwankungen im Arbeitsbedarf generell und mitunter über Gebühr durch Überstunden aufzufangen.

 

Rz. 34

Bandbreitenregelungen müssen jedenfalls bei Teilzeitarbeitsverhältnissen[51] den Anforderungen des § 12 TzBfG und der §§ 305 ff. BGB entsprechen. Mit Blick auf die Angemessenheitskontrolle gemäß § 307 Abs. ...

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