Rz. 101
§ 650t Gesamtschuldnerische Haftung mit dem bauausführenden Unternehmer
Nimmt der Besteller den Unternehmer wegen eines Überwachungsfehlers in Anspruch, der zu einem Mangel an dem Bauwerk oder an der Außenanlage geführt hat, kann der Unternehmer die Leistung verweigern, wenn auch der ausführende Bauunternehmer für den Mangel haftet und der Besteller dem bauausführenden Unternehmer noch nicht erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt hat.
I. Leistungsverweigerungsrecht des Unternehmers nach § 650t BGB
Rz. 102
Nimmt der Besteller den Unternehmer (d.h. den Architekten oder den Ingenieur) wegen eines Überwachungsfehlers (Planungsfehler genügen hingegen nicht) in Anspruch, der zu einem Mangel an dem Bauwerk oder an der Außenanlage geführt hat ([Mit-]Ursächlichkeit [Kausalität] für Mangel, bspw. Schadensersatz nach den §§ 634 Nr. 4, 280, 281 BGB), kann der Unternehmer nach § 650t BGB die Leistung verweigern (Leistungsverweigerungsrecht als Einrede), wenn auch der ausführende Bauunternehmer für den Mangel haftet und der Besteller dem bauausführenden Unternehmer noch nicht erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung (nach § 634 Nr. 1 BGB) bestimmt hat (keine erfolglose Fristsetzung).
Rz. 103
Insoweit besteht kein Leistungsverweigerungsrecht des Unternehmers, wenn der Bauunternehmer
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den Mangel nicht mehr beseitigen kann bzw. muss, oder |
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die Mangelbeseitigung zu Recht verweigert, bzw. |
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nach Verjährung der Mängelrechte. |
Rz. 104
§ 650t BGB normiert allein das Außenverhältnis zwischen Besteller und Architekt bzw. Ingenieur – die Regelung lässt hingegen das Innenverhältnis zwischen Architekt bzw. Ingenieur und Bauunternehmer unberührt.
Rz. 105
Beachte:
Die Regelung des § 650t BGB soll durch Individualvereinbarung abdingbar sein (Abdingbarkeit) – nicht jedoch durch AGB, da dies wegen der Leitbildfunktion der Norm gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB verstoßen soll.
Rz. 106
§ 650t BGB statuiert einen Vorrang der Nacherfüllung im Verhältnis zwischen Architekt bzw. Ingenieur, bauausführendem Bauunternehmer und Besteller.
II. Ratio legis
Rz. 107
Die Norm – eingefügt durch Art. 1 Nr. 25 BauVertrRRG – zielt in Bezug auf nach dem 31.12.2017 abgeschlossene Verträge (vgl. Art. 229 § 39 EGBGB) darauf ab, die überproportionale Belastung der Architekten und Ingenieure im Rahmen ihrer gesamtschuldnerischen Haftung mit dem bauausführenden Unternehmer zu reduzieren. Das Problem liegt darin begründet, dass auch in Fällen, in denen die Verjährungsfrist für Baumängel gegen den bauausführenden Unternehmer noch nicht abgelaufen ist, Bauherren im Rahmen der Reklamation von Baumängeln – die sowohl der Bauunternehmer als auch der Architekt oder Ingenieur zu verantworten haben (und zwar beide nach den Grundsätzen der Mängelhaftung gemäß §§ 633 ff. BGB und, wenn die Mängelansprüche [wie z.B. beim Schadensersatz] auf im Wesentlichen identische Leistungen gerichtet sind, gleichrangig als Gesamtschuldner haften) – vorrangig oft Letztere (d.h. den Architekten oder Ingenieur) in Anspruch nehmen (vgl. § 421 BGB), da diese berufsrechtlich zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verpflichtet sind, was bestellerseitig die Realisierung von Schadensersatzansprüchen "optimal" sichert. Dies kann, wenn der Architekt oder Ingenieur bzw. deren Versicherung dann im Nachgang versuchen, den Regressanspruch beim Bauunternehmer zu realisieren, zu erheblichen Problemen führen (insbesondere dann, wenn der bauausführende Unternehmer zwischenzeitlich bspw. in Insolvenz gegangen ist). Dies führt nach Ansicht des Gesetzgebers "zu einer wirtschaftlich stärkeren Belastung der Architekten und Ingenieure als dies (letztlich) ihrem Beitrag zum Mangel entspricht".
Rz. 108
Dieses Ungleichgewicht will § 650t BGB mit dem Leistungsverweigerungsrecht zugunsten von Architekten oder Ingenieuren beseitigen oder doch zumindest reduzieren, wenn der Besteller nicht zuvor den ausführenden Bauunternehmer erfolglos zur Nacherfüllung aufgefordert hat – um so einen Interessenausgleich zwischen Architekten oder Ingenieuren einerseits und Bauunternehmern andererseits herzustellen.