Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 28
Die Anrechnung der Geschäftsgebühr ist aus systematischen Gründen erforderlich, wenn ein RA in derselben Rechtssache zwei Aufträge nacheinander erhalten hat. Dies gilt natürlich auch, wenn der RA beide Aufträge gleichzeitig erhalten hat – den unbedingten Auftrag zur außergerichtlichen Geschäftsbesorgung und den bedingten Auftrag zur gerichtlichen Vertretung, falls der erste Auftrag nicht zum Erfolg führen sollte. Dies soll am Beispiel einer Forderungssache deutlich gemacht werden.
Rz. 29
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Wegen einer Forderung hat der RA zunächst den ersten Auftrag erhalten, die Forderung außergerichtlich beizutreiben. Das RVG nennt dies eine Angelegenheit. Für das Betreiben dieses Geschäfts entsteht die Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 und Nr. 2300 VV RVG. |
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Nachdem die außergerichtlichen Bemühungen erfolglos bleiben, erhält der RA den zweiten Auftrag, nunmehr die Forderung bei Gericht einzuklagen. Dieser zweite Auftrag ist eine zweite Angelegenheit. Für das Betreiben dieses zweiten Geschäfts entsteht die Verfahrensgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 2 und Nr. 3100 VV RVG. |
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist in der zweiten Angelegenheit natürlich dadurch geringer, dass einige erforderliche Arbeiten bereits in der ersten Angelegenheit vorgerichtlich erledigt worden sind, so z. B. die Entgegennahme der Information vom Auftraggeber, die Beratung des Auftraggebers und die Fertigung eines Aufforderungsschreibens. Diese Handlungen muss der RA in der zweiten Angelegenheit nicht erneut durchführen. Deshalb wäre es ungerecht, dem RA in einem solchen Fall für praktisch nur einmal ausgeübte Tätigkeiten zwei volle Betriebsgebühren zukommen zu lassen.
Aus diesem Grund sieht das Gesetz in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vor, dass eine wegen desselben Gegenstands entstandene Geschäftsgebühr (= erste Angelegenheit) auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens (= zweite Angelegenheit) anzurechnen ist. Die Geschäftsgebühr wird allerdings nur zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr angerechnet. Der nicht anzurechnende Teil der Geschäftsgebühr bleibt dem RA für seine Dienste in der außergerichtlichen Angelegenheit erhalten.
Hinweis:
Auch bei mehreren Auftraggebern gilt, dass eine Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG mit einem Höchstsatz von 0,75 auf nachfolgende Gebühren anzurechnen ist; dieser Höchstsatz erhöht sich keinesfalls. Siehe das Beispiel in § 6 Rdn 36 ff.
Beispiel:
Abwandlung des vorstehenden Falles. Nach Erhalt des Aufforderungsschreibens bestreitet Schuldner Schlumpf telefonisch eine Zahlungspflicht, da er schon gezahlt habe. Nun beauftragt Assel RA Rost mit der Erhebung der Klage. Nach Zustellung der Klageschrift zahlt Schlumpf, der die behauptete Zahlung nicht beweisen kann. Die Geschäftsgebühr wird auf die jetzt entstehende Verfahrensgebühr angerechnet. RA Rost erstellt folgende Vergütungsrechnung:
I. Vergütung für die außergerichtliche Tätigkeit
Gegenstandswert: 5.000,00 EUR
0,5 |
Geschäftsgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 2300 Anm. Abs. 2 S. 2 VV RVG |
167,00 EUR |
20 % |
Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
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187,00 EUR |
19 % |
USt. gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7008 VV RVG |
35,53 EUR |
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222,53EUR |
II. Vergütung für die gerichtliche Tätigkeit
Gegenstandswert: 5.000,00 EUR
1,3 |
Verfahrensgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG |
434,20 EUR |
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darauf ist gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen: |
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0,25 |
Geschäftsgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 2300 Anm. Abs. 2 S. 2 VV RVG * |
– 83,50 EUR |
20 % |
Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte für den Prozess ** gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
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370,70 EUR |
19 % |
USt. gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7008 VV RVG |
70,43 EUR |
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441,13 EUR |
* |
Die Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zeigt die Anrechnungsvorschrift. Auch wenn die Hälfte der Geschäftsgebühr anzurechnen ist, bleibt die Vergütung aus der ersten Rechnung erhalten. |
** |
Die Auslagenpauschale entsteht nach Nr. 7002 VV RVG in jeder Angelegenheit und wird nicht angerechnet, da es hierfür keine Anrechnungsvorschrift gibt. |
Rz. 30
Es spielt keine Rolle, welcher Art das nachfolgende gerichtliche Verfahren ist, da in allen Verfahren eine Verfahrensgebühr entsteht. Häufigster Anwendungsfall für die Anrechnung ist der, dass der RA zunächst den Auftrag nur zu außergerichtlichen Tätigkeiten erhält und erst nach dem Scheitern dieser Bemühungen den Auftrag bekommt, ein gerichtliches Verfahren einzuleiten, z. B. ein Mahnverfahren oder einen Zivilprozess. Über die Anrechnung von Gebühren finden Sie bei Bedarf in § 6 Rdn 29 ff. eine ausführliche Darstellung (siehe auch § 2 Rdn 127 ff.).
Durch die Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG wird sozusagen die außergerichtliche Tätigkeit des RA zu einer vorgerichtlichen Tätigkeit im Sinne der "Vorbereitung der Klage" (vgl. § 19 Ziff. 1 RVG), also der Vorbereitung des Rechtszuges erklärt, obwohl es sich eigentlich um z...