Dipl.-Kfm. Michael Scherer
1. Die Geschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen
Rz. 50
Nach einem Verkehrsunfall sucht der Geschädigte in der Regel Rat und Hilfe bei einem Anwalt. Der RA versucht dann, die finanziellen Unfallfolgen außergerichtlich mit der Haftpflichtversicherung des höchstwahrscheinlichen Unfallschuldigen zu regulieren. Bei jeder Unfallabwicklung muss der RA – auch schon bevor er den Schaden überhaupt beziffern kann – vielfältige Tätigkeiten erbringen. Zu diesen Tätigkeiten werden bei jedem Verkehrsunfall gehören:
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Erste Besprechung mit dem Klienten zur Entgegennahme der Information und Beratung |
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Ermittlung der Haftpflichtversicherung des vermutlich Unfallschuldigen |
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Prüfung des Unfallhergangs und der Rechtslage |
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Durchsicht von Schriftstücken |
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Beratung hinsichtlich möglicher Schadenersatzansprüche, die dem juristischen Laien normalerweise nicht bekannt sind |
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Belehrung des Mandanten über die Schadensminderungspflicht nach dem BGB |
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Beauftragung eines Sachverständigen |
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Prüfung des Sachverständigengutachtens und Erörterung mit dem Auftraggeber |
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Eventuell Rückfragen bei dem Sachverständigen zur Erhellung des Gutachtens |
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Zusammenstellung der Schadenspositionen und Bezifferung der Schadenshöhe |
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Austauschen von Schriftsätzen mit der Haftpflichtversicherung |
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Eventuell (telefonische) Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung über die Möglichkeit der außergerichtlichen Regulierung |
Diese anwaltlichen Tätigkeiten gehen deutlich über die Handlungen hinaus, die z. B. bei einem Aufforderungsschreiben zur Eintreibung einer rechtlich unzweifelhaften Kaufpreisforderung oder einen solchen Mietforderung von dem RA zu erbringen sind. Der Gebührensatz der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG wird daher in der Regel bei der außergerichtlichen Abwicklung von Unfallfolgen höher anzusetzen sein, als bei der Eintreibung von völlig unstrittigen Forderungen (vgl. Rdn 15 ff.).
Rz. 51
Andererseits setzt aber der Gesetzgeber die Kappungsgrenze für die Geschäftsgebühr laut Anmerkung zu Nr. 2300 Anm. Abs. 1 VV RVG für alle durchschnittlichen Fälle auf 1,3 fest. Deshalb sprechen viele Gerichte in ihren Urteilen davon, dass beim "üblichen Verkehrsunfall" eine Geschäftsgebühr von 1,3 angemessen sei. Gemeint ist natürlich nicht der "übliche Verkehrsunfall", sondern die nach einem Unfall übliche Abwicklung der Unfallfolgen durch einen Anwalt. Es kommt nicht darauf an, wie der Unfall abgelaufen ist, sondern welche Arbeiten der RA danach zu verrichten hat. Zahlreiche Gerichte gehen also davon aus, dass es sich bei der Abwicklung des "üblichen Verkehrsunfalls" grundsätzlich um eine durchschnittliche Angelegenheit handelt und somit eine über den Gebührensatz von 1,3 hinausgehende Geschäftsgebühr nur gefordert werden kann, wenn Umfang oder Schwierigkeit der Anwaltstätigkeit über dem Durchschnitt liegen.
Mittlerweile gibt es wohl mehr als 150 Urteile zur Berechnung der Geschäftsgebühr in Unfallsachen. Die von den Gerichten zugesprochenen Gebührensätze der Geschäftsgebühr liegen in einer Spanne von 0,8 bis 1,8. Die meisten Urteile sprechen in durchschnittlichen Fällen eine Geschäftsgebühr von 1,3 zu, wobei vom "üblichen Verkehrsunfall" ausgegangen wird. Es macht nun in der Praxis wenig Sinn, sich darauf zu berufen, die Mehrzahl der Gerichte habe den Gebührensatz von 1,3 zum Normalfall in Unfallsachen erklärt, da der RA in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller in § 14 RVG genannten Umstände den zutreffenden Gebührensatz ermitteln muss.
Rz. 52
Auch wenn die Abwicklung von Unfallfolgen meist als Durchschnittsfälle anzusehen sein werden, wird es doch Fälle geben, in denen die Tätigkeit des RA deutlich unterdurchschnittlicher Art war. Dies wird z. B. der Fall sein, wenn bei einem einfach gelagerten Auffahrunfall die alleinige Haftung des Unfallverursachers und die Höhe des Schadens klar ersichtlich ist. In einem solchen Fall wird der RA im Wesentlichen nur die Schadenspositionen zusammenzustellen haben. In unterdurchschnittlichen Fällen sprechen die Gerichte meist eine Geschäftsgebühr zwischen 0,8 und 1,0 zu.
Rz. 53
Mehr Arbeit wird der RA in dem Fall haben, in dem z. B. ein selbstständiger Unternehmer bei einem Unfall schwer verletzt wurde und somit hohe Verdienstausfallansprüche zu ermitteln und geltend zu machen sind. In überdurchschnittlichen Fällen werden Geschäftsgebühren zwischen 1,6 und 2,0 zugesprochen, wobei es jedoch nur relativ wenige Urteile gibt, die über den Gebührensatz von 1,3 hinausgehen.
Rz. 54
Aufgrund der bisher bekannt gewordenen Urteile lassen sich drei Fallgruppen bei der Abwicklung von Verkehrsunfallsachen unterscheiden:
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Einfacher Fall: Die Schuldfrage und die Höhe des Schadens sind eindeutig, über die Höhe des Schadenersatzes gibt es keine Auseinandersetzung mit der Versicherung und der RA kann die Regulierung mit wenigen Schriftsätzen oder einer kurzen Besprechung erreichen. Umfang und Schwierigkeit der Anwaltstätigkeit und andere Umstände des § 14 RVG sind unterdurchschnittlich. Gebührensatz im unterdurchschnittlichen Fall 0,8 bis 1,0. |
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Durchschnittlicher Fall: Insbesondere... |