I. Bauliche Maßnahmen innerhalb der WEG
Rz. 169
Die Vorschriften des öffentlichen Baurechts (konkret: die Landesbauordnungen, insbesondere die Vorschriften über die Abstandsflächen) gelten nicht für Baumaßnahmen oder Nutzungsänderungen innerhalb einer Eigentümergemeinschaft. Daher steht weder den Miteigentümern, noch der Gemeinschaft gegen die einem Wohnungseigentümer erteilte Baugenehmigung öffentlich-rechtlicher Rechtsschutz zu.
Rz. 170
Beispiel
Miteigentümer A beantragt und erhält für seine Gewerbeeinheit die (Bau-)Genehmigung des Baurechtsamtes für die Nutzungsänderung von einem Laden in eine Gaststätte. Miteigentümer B (oder die Gemeinschaft) legt gegen die Baugenehmigung Widerspruch ein und erhebt nach dessen Zurückweisung Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht. – Ohne Erfolg. Klage und Widerspruch sind mangels Klage- bzw. Widerspruchsbefugnis unzulässig. Das Wohnungseigentumsgesetz schließt öffentlich-rechtliche Nachbarschutzansprüche innerhalb der Eigentümergemeinschaft aus. Über die Rechtmäßigkeit von baulichen Veränderungen, störenden Nutzungen oder Nutzungsänderungen entscheidet im Streitfall deshalb allein das Wohnungseigentumsgericht. Dabei spielt die bestandskräftige Baugenehmigung keine ausschlaggebende Rolle: Da sie unbeschadet der Rechte Dritter ergeht, kann sich B (oder die Gemeinschaft) im WEG-Verfahren gegen ihre Ausnutzung wehren.
II. Bauliche Maßnahmen auf dem Nachbargrundstück
Rz. 171
Nachbarn im Sinne der Landesbauordnungen sind die Miteigentümer und nicht die Gemeinschaft. Nachbarbezogene Zustellungen (z.B. die Nachbaranhörung oder die Genehmigung des nachbarlichen Bauvorhabens) sind deshalb (zumindest auch) an die Miteigentümer zu richten. Anders als nach dem alten Recht ist der Verwalter insoweit nicht zur Entgegennahme von Erklärungen und Zustellungen berechtigt, weil er nur die Gemeinschaft, nicht aber die einzelnen Miteigentümer vertritt → § 10 Rdn 305). Soweit in einer Landesbauordnung etwas anderes steht, ist die Regelung m.E. wegen des Vorrangs des WEG als Bundesgesetz unwirksam. Für Bauherren und Baurechtsämter schlummert hier eine vielfach unerkannte, aber unerhört große Gefahr (und umgekehrt eine Chance unzufriedener Nachbarn): Nachbar-Baugenehmigungen werden häufig weiterhin dem Verwalter zugestellt; die Zustellung ist aber gegenüber den Wohnungseigentümern unwirksam mit der Folge, dass für diese keine Rechtsmittelfristen zu laufen beginnen. Mithin kann die Baugenehmigung auch lange nach Baubeginn oder -fertigstellung noch angefochten werden!
Rz. 172
Die Gemeinschaft ist gem. § 9a WEG befugt, öffentlich-rechtliche Nachbaransprüche im Hinblick auf das Gemeinschaftseigentum geltend zu machen. Ob diese Ausübungsbefugnis ausschließlich ist (die einzelnen Sondereigentümer also "entrechtet" werden), ist streitig. Wenn sich ein Sondereigentümer von der Baumaßnahme auf dem Nachbargrundstück gestört fühlt, z.B. weil die Fenster seiner Wohnung dadurch verschattet werden, stellt sich die Frage, ob er allein (ohne Mitwirkung der Gemeinschaft) gegen die Baugenehmigung vorgehen kann. Nach allgemeinen öffentlich-rechtlichen Grundsätzen muss er dazu die Verletzung eigener subjektiver Rechte geltend machen. In diesem Zuge stellt sich die Frage, ob eine ausschließliche originäre Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Geltendmachung nachbarschützender Rechte besteht oder nicht. Im alten Recht konnte ein Sondereigentümer nach h.M. generell aus eigenem Recht die aus dem Gemeinschaftseigentum resultierenden Abwehransprüche geltend machen, solange sich die Gemeinschaft nicht damit befasst hatte. Da nach dem geltenden Recht (§ 9a WEG) nur noch die Gemeinschaft dazu berufen ist, Störungen des Gemeinschaftseigentums abzuwehren, besteht – wie es auch nach dem alten Recht teilweise vertreten wurde – eine individuelle Ausübungskompetenz nur dann, wenn die durch die Baugenehmigung verletzte Vorschrift nicht nur dem Schutz des Gemeinschaftseigentums, sondern – zumindest auch – dem Schutz des Sondereigentums dient, wie insbesondere bei der Verletzung von Abstandsflächenvorschriften. Insofern ist ein Gleichlauf mit der Geltendmachung zivilrechtlicher Abwehransprüche hergestellt, weil ein Wohnungseigentümer Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche gemäß § 1004 BGB dann geltend machen kann, wenn es um die Abwehr von Störungen im räumlichen Bereich seines Sondereigentums geht; dem steht nicht entgegen, dass zugleich das Gemeinschaftseigentum von den Störungen ...