Rz. 114
Beispiele
Jeweils ohne Beschluss nahm Miteigentümer A bauliche Veränderungen vor: a) Er baute Dachflächenfenster in seiner Dachgeschosswohnung ein. b) Er errichtete einen Wintergarten vor seiner EG-Wohnung. c) Er brachte ein Klimagerät an der Fassade vor seinem Teileigentum an.
Rz. 115
Eine nicht auf Beschluss (oder Vereinbarung) beruhende bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums ist unzulässig (genauer: rechtswidrig) und stellt deshalb eine Eigentumsverletzung dar, die beseitigt werden muss. Anspruchsgrundlage für den Beseitigungsanspruch sind die §§ 823, 249 BGB sowie nach h.M. insbesondere § 1004 BGB, weil die unzulässige bauliche Maßnahme eine Störung des Gemeinschaftseigentums darstellt. Nach hier vertretener Auffassung – "Mindermeinung" – kann der Beseitigungsanspruch allerdings nur auf § 823 BGB und nicht auf § 1004 BGB gestützt werden, weil die in § 1004 BGB angeordnete Rechtsfolge (Beseitigung der Beeinträchtigung) bei richtigem Verständnis keine Schadensbeseitigung umfasst, sondern nur die Aufgabe der unzulässigen Rechtsposition. Die h.M. handelt sich durch die Gleichsetzung der §§ 823 und 1004 BGB dogmatische Widersprüche und unlösbare Folgeprobleme ein. Fraglich ist, ob im Fall der unberechtigten Okkupation von Gemeinschaftsfläche (wenn A im Beispielsfall seinen Wintergarten auf einer Fläche errichtete, die weder in seinem Sondereigentum steht, noch ihm zur Sondernutzung zugewiesen ist) der Beseitigungsanspruch auch auf § 985 BGB (Herausgabe des Eigentums) gestützt werden kann. Das ist zu verneinen, denn aus dem Herausgabeanspruch des § 985 BGB folgt nur die Pflicht zur Besitzaufgabe, nicht zur Räumung/Beseitigung. Allerdings müsste mit derselben Begründung auch ein auf § 1004 BGB gestützter Beseitigungsanspruch abgelehnt werden; die h.M. ist insofern inkonsequent.
Rz. 116
Ansprüche auf Rückbau baulicher Veränderungen des Gemeinschaftseigentums stehen gem. § 9a Abs. 2 WEG nur der Gemeinschaft zu. Der einzelne Wohnungseigentümer kann diese Ansprüche nicht geltend machen (sofern er nicht dazu ermächtigt wurde); er kann nur gegen etwaige Störungen seines Sondereigentums infolge der baulichen Maßnahme vorgehen (→ § 3 Rdn 59). Wenn aber die Gemeinschaft eine Rückbauklage erhebt, kann ein einzelner Wohnungseigentümer, dem der Fall besonders am Herzen liegt und der die Anspruchsdurchsetzung aktiv unterstützen möchte, dem Prozess gem. § 66 ZPO als Streithelfer der Gemeinschaft (streitgenössischer Nebenintervenient) beitreten. Inwieweit Ansprüche gegen die Gemeinschaft auf Einschreiten bestehen, wird unten erörtert (→ § 4 Rdn 126).
Rz. 117
Ein (vorübergehendes) Sonderproblem betrifft Rückbauklagen einzelner Wohnungseigentümer, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts (1.12.2020) bereits rechtshängig waren. Eigentlich wurden diese Klagen schlagartig unzulässig; dem Einzelnen fehlt, wie gesagt, die Klagebefugnis und das Gesetz sieht keine Übergangsregelung vor. Der BGH sprang diesen Klägern aber rechtsfortbildend zur Seite und entschied, dass die Prozessführungsbefugnis "in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG fortbesteht, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht wird." Diese Entscheidung wirft viele Fragen auf, die hier aber nicht vertieft werden, denn die einschlägigen Fälle haben sich zwischenzeitlich weitgehend erledigt.
Rz. 118
Die ausschließliche Verbandszuständigkeit hat gegenüber dem früheren Recht erweiterte Verwalterpflichten zur Folge. Der Verwalter muss gegen unzulässige bauliche Maßnahmen in derselben Weise vorgehen wie gegen Störungen in Gestalt von Hausordnungsverstößen. Er muss also – sofern Miteigentümer von ihm ein Tätigwerden verlangen – durch Abmahnschreiben, Rundschreiben oder Aushänge der unzulässigen baulichen Maßnahme entgegentreten. Es ist aber nicht seine Aufgabe, von ihm bemerkte unzulässige bauliche Veränderungen von sich aus und unaufgefordert zum Anlass für Abmahnungen zu nehmen. Rechtliche, insbesondere gerichtliche Schritte setzen eine vorherige (im Einzelfall oder im Voraus erfolgte) Beschlussfassung voraus (→ § 3 Rdn 61). Je nach Fall wird der Verwalter die unzulässige bauliche Veränderung zum Gegenstand der Beschlussfassung in der nächsten, ggf. auch einer außerordentlichen Eigentümerversammlung machen. Wenn die Behandlung in der Versammlung von Wohnungseigentümern verlangt wird, muss er dem Verlangen nachkommen; ansonsten sollte er der Gemeinschaft die Befassung mit dem Thema nicht aufdrängen. Wenn Wohnungseigentümer B im obigen Beispielsfall (→ § 4 Rdn 114) dem Verwalter Mitteilung von den durch Wohnungseigentümer A vorgenommenen baulichen Maßnahmen macht, danach aber weder A noch B noch andere Eigentümer die Aufnahme dieses Themas in die Tagesordnung verlangen (ggf. trotz Hinweises des Verwalters auf diese Möglichkeit), ist der Verwalter nicht dazu verpflichtet, die ...