Rz. 1

Im Zuge der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts,[1] die zum 1.1.2023 in Kraft tritt, ist das Betreuungsrecht vollständig neu strukturiert und gefasst worden. Wesentliche Änderungen liegen in vielen Bereichen nicht vor, aber durch gewisse Änderungen im Wortlaut der Paragrafen hat der Gesetzgeber optimiert, angepasst und vor allem modernisiert. § 1814 BGB bezeichnet der Gesetzgeber selber als "Fundamentalnorm" des Betreuungsrechts: Kann ein Volljähriger seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen und beruht dies auf einer Krankheit oder einer Behinderung, so bestellt gem. § 1814 Abs. 1, 4 BGB (§ 1896 Abs. 1 BGB a.F.) das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer. Zunächst ist der objektive Unterstützungsbedarf (Angelegenheiten nicht besorgen) festzustellen und dann erst die subjektive Betreuungsbedürftigkeit (Krankheit oder Behinderung), wobei die Kausalität zwischen beiden festgestellt werden muss. Nach bis zum 31.12.2022 geltendem Recht musste erst die Betreuungsbedürftigkeit und erst danach der Unterstützungsbedarf festgestellt werden. Der Gesetzgeber möchte damit den Fokus auf den Unterstützungsbedarf legen. Aufgegeben hat der Gesetzgeber auch, vor Krankheit "psychisch" und vor Behinderung "körperlichen, geistigen und seelischen" zu setzen. Eine inhaltliche Änderung ist damit aber nicht beabsichtigt.[2]

 

Rz. 2

Eine Betreuung muss "erforderlich" sein (§ 1814 Abs. 3 BGB). Damit besteht der Grundsatz des Nachrangs der Betreuung, da durch die Betreuung in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen eingegriffen wird. Nach dem BGH vom 17.2.2016[3] ist die Möglichkeit der vorsorgenden Bevollmächtigung Ausfluss des von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen. Mit dieser soll eine staatliche Einflussnahme mittels Betreuung vermieden werden. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB a.F. (vgl. § 1814 Abs. 3 S. 2 BGB) bringe zum Ausdruck, dass dieses Selbstbestimmungsrecht aus den Gründen des dem Staat obliegenden Erwachsenschutzes und damit zum Wohl des Betroffenen im Einzelfall erst dann endet, wenn die rechtliche Fürsorge durch einen Betreuer derjenigen durch den Bevollmächtigten überlegen ist. Im Mittelpunkt steht aber stets der Schutz des Betroffenen, auf den dieser in letzter Konsequenz zu Recht nicht verzichten kann. So ist er zu schützen, wenn der von ihm bestimmte Bevollmächtigte nicht handelt oder überfordert ist (siehe Rdn 15 ff.) bzw. wenn dieser sich als unredlich erweist (siehe Rdn 18 ff.).

 

Rz. 3

Das Betreuungsgericht darf einen Betreuer nur für Aufgabenbereiche bestellen, in denen eine Betreuung erforderlich ist (§§ 1814 Abs. 3 S. 1, 1815 Abs. 1 S. 3 BGB; § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB a.F.). Nicht erforderlich ist eine Betreuung, wenn die betroffene Person einen Bevollmächtigten eingesetzt hat, außer wenn dieser gem. § 1816 Abs. 6 BGB ausgeschlossen ist (§ 1814 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BGB). Ebenfalls nicht erforderlich ist ein Betreuuer, wenn Angelegenheiten durch andere Hilfen erledigt werden können, insbesondere durch solche Unterstützung, die auf sozialen Rechten oder anderen Vorschriften beruht (§ 1814 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BGB) – gemeint ist durch den Gesetzgeber[4] – aber auch die rein tatsächliche Unterstützung durch Familie und Freunde. Die Betreuung ist damit subsidiär und nachrangig zu Selbsthilfemöglichkeiten. In folgenden Konstellationen wird trotz Erteilung einer Vollmacht eine Betreuung für einen Teilbereich erforderlich:[5]

Rechtsgeschäfte, für deren Vornahme das Gesetz einen gesetzlichen Vertreter und damit bei Volljährigen einen Betreuer vorschreibt (siehe Rdn 6).
Aufgrund Formerfordernissen: Die erteilte Vollmacht ist privatschriftlich erteilt, und für das anstehende Geschäft oder die anstehende Erklärung sieht das Gesetz etwa zumindest die öffentliche Beglaubigung vor. Dann ist eine Betreuung nur für diesen Aufgabenbereich einzurichten.[6] Das kann etwa bei Grundstücksgeschäften der Fall sein.
Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers bei Erteilung der Vollmacht, da dieser bei "Abgabe" (§ 130 Abs. 2 BGB) geschäftsfähig sein muss (§ 104 BGB). So wird die Vollmacht "durch Rechtsgeschäft" erteilt.[7] Der spätere Eintritt der Geschäftsunfähigkeit ist unschädlich (vgl. §§ 168 S. 1, 672 BGB).[8] Die Frage der Geschäftsfähigkeit hat das Betreuungsgericht im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes aufzuklären (§ 26 FamFG).[9] Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung.[10] Trotz Zweifel an der Geschäftsfähigkeit bei Vollmachtserteilung ist die Betreuung subsidiär zu der Bevollmächtigung.
Es ist zum Schutz des Betroffenen ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1825 BGB (§ 1903 BGB a.F.) erforderlich.[11]
Die Vollmacht ist aufschiebend bedingt auf die Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers erteilt worden. Eine Betreuung kann möglicherweise wegen der Praxisuntauglichkeit einzurichten sein.[12]
Die Vollmacht deckt nicht den konkrete...

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