Rz. 8
Haben sich die Vertragspartner eines Erbvertrages den Rücktritt vorbehalten, dann muss der Rücktritt dem anderen zugestellt werden (§ 2296 BGB). Die entsprechenden Regeln gelten gem. § 2271 Abs. 1 BGB auch für den Widerruf von wechselbezüglichen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament. Die Rechtslage stellt sich komplex dar, wenn der Rücktritts- bzw. Widerrufsgegner nicht mehr geschäfts- bzw. testierfähig geworden ist.
Rz. 9
Nach ganz h.M. kann ein Rücktritt bzw. ein Widerruf auch gegenüber dem anderen, mittlerweile testierunfähig gewordenen Ehegatten bzw. geschäftsunfähig gewordenen Vertragspartner erfolgen, wenn dieser bei Empfang der Widerrufs- bzw. Rücktrittserklärung wirksam vertreten wurde. Das hat der BGH in seinem Grundsatzbeschluss vom 27.1.2021 festgestellt. Zwar würde dem testierunfähig gewordenen Vertragspartner die Möglichkeit genommen, auf die durch den Rücktritt veränderte erbrechtliche Lage zu reagieren. Das sei aber dem Gesetz nicht fremd: Nach § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB kann der Längerlebende das ihm durch den Erbvertrag Zugewendete ausschlagen und so seine eigene letztwillige Verfügung aufheben. Der BGH weist auch darauf hin, dass durch seine Entscheidung tatsächliche Unsicherheiten wie bei Anknüpfung an die Testier- bzw. Geschäftsfähigkeit vermieden werden.
Rz. 10
Der h.M. zufolge haben die Rücktrittserklärung bzw. der Widerruf gegenüber dem gesetzlichen Vertreter zu erfolgen; der Rücktritt ist mithin gegenüber dem Betreuer zu erklären. Ein Betreuer muss etwa für den Aufgabenkreis der "Vermögensangelegenheiten" bestellt sein; "Postvollmacht" reicht nicht aus. Wird nach Zustellung der Aufgabenkreis erweitert, tritt keine Heilung ein. Sollte der Ehegatte, der den Rücktritt bzw. den Widerruf erklärt, der Betreuer sein, ist ein Ergänzungsbetreuer nur für die Entgegennahme der Erklärung zu bestellen (Vertretungsverbot nach § 1824 BGB; §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1795, 181 BGB a.F.).
Rz. 11
In seinem Grundsatzbeschluss vom 21.7.2021 hat der BGH auch festgestellt, dass der Rücktritt von einem Erbvertrag auch gegenüber einem Vorsorgebevollmächtigten erklärt werden kann. Entsprechendes wird für den Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen gelten. In seiner Begründung weist der BGH darauf hin, dass es Wille des Gesetzgebers sei, durch die rechtliche Anerkennung der Vorsorgevollmacht das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu stärken. Offen lässt der BGH die Frage, ob ein von dem Verbot der Selbstkontrahierung befreiter Bevollmächtigter empfangsberechtig ist. Er weist nur auf eine Missbrauchsgefahr hin. Der Widerrufende kann sich nach Braun trotz formal erfolgten Zugangs auf seinen Widerruf nicht berufen, wenn er versucht, die Stellvertretung für einen "heimlichen" Widerruf auszunutzen. Es wird auf den Einzelfall ankommen: Wenn ein Vertragspartner den anderen Vertragspartner vertritt, selbst dann als Vertreter die Rücktrittserklärung entgegennimmt und sogleich anderweitig selber für sich letztwillig verfügt, wird kein wirksamer Rücktritt vorliegen. Damit bestätigt der BGH die Auffassung vom LG Leipzig, das schon am 1.10.2009 entschieden hatte, dass der Widerruf dem rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten des geschäftsunfähigen Ehegatten zugestellt werden kann. Für die Praxis bedeutet der Grundsatzbeschluss des BGH vom 21.7.2021 Rechtssicherheit. Es ist nun nicht mehr erforderlich, vorsorglich die Einrichtung einer Betreuung mit dem Aufgabengebiet Entgegennahme der Rücktrittserklärung anzuregen. Für die Praxis bedeutet das aber auch, dass in Vorsorgevollmachten explizit erklärt werden sollte, ob der Bevollmächtigte zur Entgegennahme von Rücktritts- bzw. Widerrufserklärungen im Außenverhältnis berechtigt ist oder eben nicht. Nach Zimmermann sollte der Bevollmächtigte im privaten Bereich keine Empfangszuständigkeit haben, so dass u.a. der Zugang des Widerrufs an den Bevollmächtigten nicht reicht.