Rz. 16

§ 2307 BGB erfasst nur Vermächtnisse, nicht aber Auflagen, zumal bei diesen eine Ausschlagung ohnehin nicht in Betracht kommt.[27] Aber auch bei Vermächtnissen ist zu unterscheiden, in welchem Verhältnis diese zum Pflichtteil stehen.[28] Möglich sind:

Anrechnung des Vermächtnisses auf den Pflichtteil: Dies ist der von § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB erfasste Regelfall; das Vermächtnis deckt den Pflichtteilsanspruch ganz oder teilweise ab;
Vermächtnis neben und zusätzlich zum Pflichtteil, etwa für die Kinder bei Wiederverheiratung des längerlebenden Ehegatten. § 2307 BGB gilt hier seinem Sinn und Zweck nach gerade nicht.[29] In einer derartigen Zuwendung liegt auch kein Verweis auf die gesetzliche Pflichtteilsregelung (§ 2304 BGB); ganz ausnahmsweise kann aber auch eine Erbeinsetzung angenommen werden;[30]
Vermächtnis anstatt des Pflichtteils: Hier bestimmt der Erblasser, dass mit der Annahme des Vermächtnisses der Pflichtteil abgegolten sein soll. Dies ist trotz des zwingenden Pflichtteilsrechts möglich, da dem Pflichtteilsberechtigten ja nicht die Möglichkeit genommen wird, auszuschlagen und den vollen gesetzlichen Pflichtteil zu verlangen (§ 2307 Abs. 1 S. 1 BGB). Nimmt er jedoch an, so erhält er abweichend von § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB keinen Pflichtteilsrestanspruch mehr.[31] Erreicht wird dies konstruktiv dadurch, dass das Vermächtnis unter der aufschiebenden Potestativbedingung zugewandt wird, dass es erst entsteht, wenn der Pflichtteilsberechtigte auf den Pflichtteilsrestanspruch verzichtet.[32] Das gleiche Ergebnis kann durch eine auflösende Bedingung erzielt werden, dass die Vermächtnisanordnung ersatzlos wegfällt, wenn der Pflichtteilsrestanspruch geltend gemacht wird. Damit wird eine der "cautela socini" vergleichbare Wirkung erzielt (siehe § 12 Rdn 64 ff.); daher wird eine derartige Klausel teilweise abgelehnt, weil dem Pflichtteilsberechtigten das in § 2307 Abs. 1 BGB vorgesehene Wahlrecht genommen werde.[33]
 

Praxishinweis

Auch wenn dies nicht üblich ist, sollte in Vermächtnisanordnungen immer klargestellt werden, in welchem Verhältnis die Zuwendung zum Pflichtteil steht.

 

Rz. 17

Wird der Pflichtteilsberechtigte nur als Ersatzvermächtnisnehmer berufen, so ist ihm bis zum Wegfall des zunächst Bedachten nichts hinterlassen, weshalb er sofort den Pflichtteil fordern kann. Erhält er aber später doch noch das Vermächtnis, so muss er sich hierauf das auf den Pflichtteil Geleistete anrechnen lassen.[34] Besonderheiten sind zu beachten, wenn zugleich auch noch ein Erbteil zugewandt wird (siehe Rdn 38 ff.).

 

Rz. 18

Auch belastete und beschwerte Vermächtnisse werden vom Wortlaut des § 2307 BGB erfasst, wie sich auch aus § 2307 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB ergibt, also wenn diesbezüglich ein Untervermächtnis (§ 2147 BGB) oder Nachvermächtnisse (§ 2191 BGB),[35] Testamentsvollstreckung (§§ 2197 ff., 2211, 2212 BGB) oder Auflagen (§§ 2192 ff. BGB) angeordnet sind.

 

Rz. 19

Im Übrigen ist bei der Anwendung des § 2307 BGB danach zu unterscheiden, ob das Vermächtnis ausgeschlagen oder aber angenommen wird.

[27] RG JW 1928, 907; OLG Düsseldorf FamRZ 1991, 1107, 1109; Soergel/Dieckmann, § 2307 Rn 4; Staudinger/Otte, § 2307 Rn 7; Palandt/Weidlich, § 2307 Rn 1.
[28] Zur Systematisierung siehe J. Mayer, ZEV 1995, 41, 44.
[29] RGZ 129, 239, 241; Soergel/Dieckmann, § 2307 Rn 3; Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2307 Rn 9; kritisch hiergegen: Staudinger/Otte, § 2307 Rn 4 mit dem Hinweis, dass die Ansicht, der Erblasser könne dem Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis zuwenden, das ihm zusätzlich zum Anspruch aus § 2303 BGB zusteht, den Zweck der Pflichtteilsvorschriften verfehle; eine Diskussion darüber, ob pflichtteilsrechtliche Vorschriften auf derartige Vermächtnisse anzuwenden seien, solle besser gar nicht erst begonnen werden.
[30] Eingehend zur Abgrenzung Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2304 Rn 12.
[31] BGB-RGRK/Johannsen, § 2307 Rn 5; Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2307 Rn 21 ff.
[32] OLG Braunschweig OLGRspr 21, 343, 344; Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2307 Rn 22.
[33] Soergel/Loritz, § 2075 Rn 17; MüKo-BGB/Leipold, § 2075 Rn 26; dagegen zutreffend Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2307 Rn 22 f.
[34] MüKo-BGB/Lange, § 2307 Rn 7.
[35] Dazu erst BGH NJW 2001, 520 = ZEV 2001, 20.

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