Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 13
Aus dem Rechtsanwaltsvertrag folgt, ob der Anwalt für seinen Mandanten Ansprüche geltend machen und begründen, oder ob er von der Gegenseite erhobene Ansprüche zurückweisen und Einwendungen erheben oder ob er Einlassungen abgeben soll. Entscheidend ist die juristisch zutreffende, zumindest aber vertretbare Interessenwahrnehmung im Sinne des Mandanten. Der maßgebende Sachverhalt ist mitzuteilen. Die subsumierte Rechtsauffassung weist auf die Rechtsposition des Mandanten hin. Der Rechtsanwalt muss unmissverständliche Willenserklärungen abgeben, insbesondere den einschlägigen Fachausdruck benutzen. Er muss vermeiden, dass seine Erklärung auslegungsbedürftig ist, weil dadurch die beabsichtigten Rechtsfolgen seiner Erklärung unsicher würden. Andernfalls drohen Haftungsrisiken.
Rz. 14
Der bei Mandatsannahme konkretisierte Auftrag, welcher sich im Schreiben an den Anspruchsgegner niederschlägt, hat auch Einfluss darauf, ob und in welcher Höhe Anwaltsgebühren entstehen. Allein das äußere Erscheinungsbild der erbrachten Tätigkeit genügt insoweit nicht, ebenso wenig die Vorlage einer Vollmacht. Soll (auch im Hinblick auf eine spätere Klage) rechtssicher eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ausgelöst werden, darf die Tätigkeit nicht lediglich der Vorbereitung der Klage dienen, § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG. Solche Aktivitäten gehören vielmehr zum Rechtszug und werden daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten. Aus der Art und dem Umfang des im Einzelfall erteilten Mandats folgt, ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG bewirkt. Dem Anspruchsgegner ist also mitzuteilen, dass noch kein Klageauftrag vorliegt, etwa indem formuliert wird, dass dem Mandanten bei Nichtleistung nachfolgend empfohlen werden wird, Klage einzureichen.
I. Fristwahrende Erklärungen
Rz. 15
Zahlreiche materiell-rechtliche Fristen, wie z.B. die Anfechtungsfrist nach § 121 BGB, Einspruchs- und Kündigungsfristen oder Ausschlussfristen zwingen den Rechtsanwalt zu unverzüglichem Tätigwerden.
II. Inverzugsetzungen
Rz. 16
Fristsetzungen sollten nur dann erfolgen, wenn sie rechtlich erforderlich sind. Insbesondere gegenüber gegnerischen Rechtsanwaltskanzleien genügt andernfalls eine schlichte Bitte um Beantwortung. Drohen der anwaltlich vertretenen Gegenpartei keine nachteiligen Folgen aus einer verspäteten Antwort, ergibt eine Fristsetzung von vornherein keinen Sinn.
Ist für den Mandanten ein Anspruch geltend zu machen, der keine abgerechnete Entgeltforderung i.S.v. § 286 Abs. 3 BGB darstellt, ist der Anspruchsgegner in Verzug zu setzen, um Verzugszinsen beanspruchen zu können, z.B. wenn der Mandant nach einem Verkehrsunfall die Reparaturkosten verauslagt hat oder darüber hinaus sogar einen Bankkredit in Anspruch nimmt. Dasselbe gilt, wenn es sich um eine Entgeltforderung handelt, die gegenüber einem Verbraucher erhoben wird, der nicht auf den Verzug nach Rechnungszugang gemäß § 286 Abs. 3 S. 1, Hs. 2 BGB hingewiesen worden ist.
Rz. 17
Auch in Unterhaltssachen muss der Gegner in Verzug gesetzt werden, weil gemäß § 1613 Abs. 1 S. 1 BGB der Berechtigte für die Vergangenheit Unterhalt nur von der Zeit an fordern kann, zu welcher der Schuldner in Verzug gekommen ist (oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist). Inverzugsetzungen sind daneben erforderlich, um die erweiterte Haftung nach § 287 BGB herbeizuführen.
Rz. 18
Um den Gegner in Verzug setzen zu können, muss der Anspruch des Mandanten vollwirksam und fällig sein; d.h. es muss sich um eine Forderung handeln, deren Erfüllung erzwungen werden kann und die frei von Einwendungen oder Einreden ist. Regelmäßig ist ein Anspruch sofort fällig, § 271 BGB. Etwas anderes kann sich aus dem zugrunde liegenden Vertrag ergeben. Auch eine Stundung oder ein gesetzliches Verbot stehen der Fälligkeit entgegen. Allein das Bestehen einer (dauernden oder aufschiebenden) Einrede, z.B. der Verjährungseinrede nach § 214 Abs. 1 BGB, der Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB, der Bereicherungseinrede gemäß § 821 BGB oder der Einrede der unerlaubten Handlung gemäß § 853 BGB, schließt nach h.M. den Verzugseintritt aus, ohne dass der Schuldner die Einrede erheben müsste. Die Mahnung muss daher nach Fälligkeit erfolgen oder wenigstens mit der fälligkeitsbegründenden Handlung zusammenfallen. Bei wiederkehrenden Leistungen genügt eine Mahnung.
Rz. 19
Der Mahnende muss unzweideutig zum Ausdruck bringen, dass er die Leistung verlangt. Dazu reicht auch eine befristete Mahnung oder das Mahnen eines hilfsweise geltend gemachten Anspruchs. Es genügt aber nicht, den Anspruchsgegner aufzufordern, seine Leistungsbereitschaft zu erklären. Ebenso ungenügend ist, mitzuteilen, dass Ansprüche vorsorglich geltend gemacht werden, weil es insoweit an einem bestimmten Leistungsverlangen fehlt.
Rz. 20
Bei unbestimmten Zahlungsansprüchen wie dem Schmerzensgeld, Pflichtteilsansprüchen ode...