Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 61
Die geläufige Annahme, eigene Ermittlungen des Rechtsanwalts seien unangebracht, ist unzutreffend.
I. Aufklärungspflicht des Rechtsanwalts
Rz. 62
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist es die Aufgabe des Rechtsanwalts, der einen Anspruch klageweise geltend machen soll, die zugunsten seiner Partei sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich darzulegen, damit sie das Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigen kann. Er darf sich nicht ohne Weiteres mit dem begnügen, was sein Auftraggeber ihm an Informationen liefert, sondern muss um zusätzliche Aufklärung bemüht sein, wenn den Umständen nach für eine zutreffende rechtliche Einordnung die Kenntnis weiterer Tatsachen erforderlich und deren Bedeutung für den Mandanten nicht ohne Weiteres ersichtlich ist. Was dabei im Einzelfall geboten ist, hängt von den gesamten Umständen ab, insbesondere dem, was der Mandant begehrt, sowie dem Inhalt des erteilten Mandats.
Rz. 63
Nachfragen zur Vervollständigung des Sachverhalts sind also unbedingt angezeigt. Diese sollten sich auch auf etwaige (rechtshindernde, rechtshemmende oder rechtsvernichtende) Einwendungen und Einreden des Anspruchsgegners beziehen. Stets sollte prognostiziert werden, inwieweit mit Verteidigungsmitteln zu rechnen ist und welche – ggf. entgegenstehenden – Hinweise/Mitteilungen der Mandant dazu geben kann.
Rz. 64
Es gibt indes keine anwaltliche Pflicht, die Richtigkeit der Informationen des Mandanten zu kontrollieren. Nicht nur der Mandant sollte auf die Integrität und das Fachwissen seines Anwalts vertrauen, auch umgekehrt muss sich dieser darauf verlassen können, dass ihn der Mandant über den Sachverhalt zutreffend informiert und nicht belügt. Praktikabel ist es, den Angaben des Mandanten zu glauben und nicht etwa diese zu bezweifeln. Sollte sich indessen herausstellen, dass die Angaben des Mandanten unzutreffend sind, bleibt dem Rechtsanwalt nichts anderes übrig, als das Mandat umgehend niederzulegen, um keine – versuchte – Beihilfe zum (Prozess-)Betrug zu begehen.
Rz. 65
Nachdem rechtlich geprüft ist, ob der Anspruch (bzw. die Verteidigung hiergegen) aussichtsreich ist, und die Beweislastfragen geklärt sind, ist der Mandant hierüber zu beraten. Die Verpflichtung des Rechtsanwalts, seinen Mandanten grundsätzlich umfassend und möglichst erschöpfend rechtlich zu beraten und, falls eine Klage nur wenig Aussicht auf Erfolg verspricht, hierauf und auf die damit verbundenen Gefahren hinzuweisen, gilt in gleicher Weise auch dann, wenn der Mandant rechtsschutzversichert ist. Insbesondere hat der Rechtsanwalt seinen Mandanten auch darüber zu belehren, dass die Rechtsschutzversicherung zur Gewährung von Deckungsschutz für aussichtslose Verfahren gemäß § 3a ARB, § 128 VVG nicht verpflichtet ist.
Rz. 66
Darzustellen ist, dass bei streitigen und relevant abweichenden Sachverhaltswiedergaben der Kontrahenten letztendlich die Überzeugung des Gerichts entscheidend ist. Um das Prozessrisiko und damit das wirtschaftliche Risiko eines Gerichtsverfahrens (und auch einer etwaigen späteren Zwangsvollstreckung) weiter eingrenzen zu können, kann die Beweissituation schon vorprozessual – ergänzend – aufgeklärt werden.
II. Akteneinsicht
Rz. 67
Bei der außergerichtlichen Interessenwahrnehmung kann der Rechtsanwalt auf die Einsichtnahme in Ermittlungs- oder Gerichtsakten angewiesen sein. Bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall gegenüber einer Versicherung ist die Akteneinsicht erforderlich, weil die Versicherungen, wenn eine polizeiliche Ermittlungsakte vorhanden ist, erst nach Einsichtnahme über die Regulierung entscheiden. Der Rechtsanwalt sollte die Akteneinsicht beantragen und der Versicherung gegen Gebührenabrechnung Auszüge aus der amtlichen Ermittlungsakte zur Verfügung stellen. Erhält der Rechtsanwalt den Auftrag, die Erfolgsaussichten einer Berufung zu prüfen, empfiehlt sich ebenfalls die Einsichtnahme der Gerichtsakte. Das Recht zur Akteneinsicht ergibt sich aus § 299 Abs. 1 ZPO. Werden Auszüge aus einer amtlichen Ermittlungsakte benötigt, erlauben §§ 147, 406e StPO dem Anwalt, Einsicht zu nehmen.
III. Einholen von Melderegisterauskünften
Rz. 68
Eine häufige anwaltliche Ermittlungstätigkeit liegt in der Anfrage nach §§ 44, 45 BMG, der einfachen und der erweiterten Melderegisterauskunft. Nach § 44 Abs. 1 BMG lassen sich Auskünfte über den Vor- und Familiennamen (unter Kennzeichnung des gebrä...