Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 108
Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die in dem Beratungshilfegesetz vorgesehene Beratungshilfe zu übernehmen, § 49a Abs. S. 1 BRAO. § 49a Abs. 1 BRAO normiert nicht nur eine Berufspflicht des Rechtsanwalts zur Übernahme der Beratungshilfe, sondern – mit Ausnahmen – einen echten Kontrahierungszwang (bei den gegebenen Gebührensätzen als ein zu erbringendes Sonderopfer).
Bei begründetem Anlass ist auf die Möglichkeiten von Beratungs- und Prozesskostenhilfe gemäß §§ 114 ff. ZPO hinzuweisen, § 16 Abs. 1 BORA. Dabei ist der Hinweis auf die Prozesskostenhilfe ein Teil der anwaltlichen Beratungspflicht, die sich aus dem Mandatsvertrag ergibt. Bei einem Verstoß droht der Verlust der Gebührenforderung, weil dieser ein Anspruch auf Schadensersatz des Mandanten aufgrund unzulänglicher Beratung entgegenstehen kann. Ein Anspruch auf Beratungshilfe ist in allen Bundesländern gegeben außer in Hamburg und Bremen. Dort können Rechtssuchende stattdessen eine öffentliche Beratungsstelle aufsuchen (in Berlin können sie zwischen diesen Alternativen wählen). Beratungshilfe dient aber nur der finanziellen Unterstützung einer ersten anwaltlichen Hilfe in einer Angelegenheit, hingegen nicht dazu, eine zweite Meinung einzuholen. Dabei ist es irrelevant, ob der erste Rechtsanwalt bereits im Rahmen von Beratungshilfe oder noch auf eigene Rechnung des Mandanten – ggf. mit Kostenübernahme durch eine Rechtsschutzversicherung – tätig war.
Rz. 109
Will der Rechtsuchende anwaltliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen und weist sogleich auf seine schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse hin, ohne einen Berechtigungsschein vorzulegen, kann der Rechtsanwalt gemäß § 4 Abs. 6 BerHG vor Beginn der Beratungshilfe verlangen, dass der Rechtsuchende seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse belegt und erklärt, dass ihm in derselben Angelegenheit Beratungshilfe bisher weder gewährt noch durch das Gericht versagt worden ist, und dass in derselben Angelegenheit kein gerichtliches Verfahren anhängig ist oder war.
Rz. 110
Möglicherweise ergeben sich aus der Schilderung des Sachverhalts maßgebende Indizien dafür, dass der Mandant die Kosten und Gebühren nicht wird tragen können. Allein aus der Tatsache, dass der Mandant Student, Berufsanfänger oder Berufstätiger mit erfahrungsgemäß niedrigem Einkommen ist, folgt indes noch keine zwangsläufige Kostenhilfebedürftigkeit, denn maßgebend sind nicht nur die Einkommens-, sondern auch die Vermögensverhältnisse des Mandanten. Das Schonvermögen (§ 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII), das der Mandant nicht antasten muss, liegt derzeit bei 10.000,00 EUR zuzüglich weiterer 500,00 EUR für jede überwiegend unterhaltene Person. Meist ist es leichter, anhand der Vermögenssituation anstatt der Einkommensverhältnisse zu klären, ob ein Anspruch auf Kostenbeihilfe besteht, indem dem Mandanten Nachfragen zum Vermögen gestellt werden, etwa zur Höhe von Konto- oder Sparguthaben, zu einem etwaigen Bausparvertrag oder zum aktuellen Rückkaufswert einer Lebensversicherungspolice. Ist der Mandant unvermögend, sollte dann bei entsprechenden Anhaltspunkten die Einkommenslage abgefragt werden.
Rz. 111
Gemäß § 16a Abs. 2 BORA ist der Rechtsanwalt nicht verpflichtet, den Beratungshilfeantrag zu stellen. Er kann den Rechtssuchenden also auf eine Eigeninitiative bzw. auf die Hilfestellung des Amtsgerichts verweisen; eventuell bietet es sich im eigenen (Gebühren-)Interesse aber an, bei der Antragstellung zu helfen. Liefert der Mandant nicht die erforderlichen Nachweise, kann der Rechtsanwalt die gesetzlichen Gebühren fordern.
Rz. 112
Es liegt im ureigenen Interesse des Anwalts, die Bezahlung seiner Gebühren sicherzustellen. Deshalb empfiehlt sich, im Besprechungstermin gemeinsam mit dem Mandanten das Beratungs- bzw. Prozesskostenhilfeformular auszufüllen, vom Mandanten unterzeichnen zu lassen und sich von den erforderlichen Unterlagen Kopien anzufertigen bzw. diese sogleich einzuscannen, wenn ein Anspruch auf staatliche Unterstützung besteht, § 6 Abs. 2 BerHG. Beratungshilfeformulare können vom Mandanten auch unter dem Justizportal des jeweiligen Bundeslandes online abgerufen und vor dem Besuch der Rechtsanwaltskanzlei ausgefüllt werden, falls nicht ohnehin ein entsprechender Link auf der Homepage der Kanzlei vorhanden ist.
Rz. 113
Alternativ kann der Mandant bereits anlässlich einer Terminvergabe gebeten werden, sich noch vor dem Besprechungstermin vom örtlichen Amtsgericht einen Berechtigungsschein ausstellen zu lassen, § 6 Abs. 1 BerHG. Dies erleichtert dem Rechtsanwalt die Abrechnung des Beratungshilfemandates, weil dann im Nachhinein die Angelegenheit nicht mehr dargestellt und die Bedürftigkeit nicht mehr nachgewiesen werden müssen.
Rz. 114
Für die Bewilligung von Beratungshilfe kommt es nicht darauf an, ob Erfolgsaussichten für die Geltendmachung von Ansprüchen bzw. die Verteidigung hiergegen bestehen. Entscheidend ist ...