I. Keine rechtmäßige bauliche Veränderung ohne Beschluss

1. Ausgangssituation

 

Rz. 6

Vor der WEG-Novelle 2007 herrschte weitgehende Übereinstimmung, dass ein Mehrheitsbeschluss zur Genehmigung einer baulichen Veränderung weder erforderlich noch hinreichend war, da es grundsätzlich (nur) der Zustimmung der beeinträchtigten Miteigentümer bedurfte.[5] Die WEG-Novelle 2007 sollte nach dem Bekunden des Gesetzgebers hieran nichts ändern,[6] griff aber vermeintlich zur Klarstellung trotzdem in den Wortlaut des § 22 Abs. 1 WEG a.F. ein. Die h.M. schloss gerade aus dieser Änderung, dass sich die Bedeutung des Mehrheitsbeschlusses über die Genehmigung einer baulichen Veränderung deutlich geändert haben soll. Während ein Beschluss nach früherem Recht lediglich eine zusätzliche Möglichkeit neben der Zustimmung der beeinträchtigten Miteigentümer eröffnete, war er nach der WEG-Novelle zwingende Voraussetzung für die Legalisierung einer baulichen Veränderung.[7] Die Zustimmung der beeinträchtigten Wohnungseigentümer außerhalb einer Beschlussfassung sollte bedeutungslos sein.[8] Dies schloss die h.M. aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 WEG a.F., wonach eine bauliche Veränderung "beschlossen oder verlangt werden (kann), wenn jeder Wohnungseigentümer zustimmt, dessen Rechte durch die Maßnahme über das in § 14 Nr. 1 bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden." Demnach führt die Zustimmung aller beeinträchtigten Wohnungseigentümer nur dazu, dass der umbauwillige Miteigentümer die zustimmende Beschlussfassung zu der geplanten Veränderung verlangen kann.

[5] BGHZ 73, 199 f.; OLG Hamm ZMR 1996, 391; BayObLG ZMR 2001, 640; 2002, 63; OLG Hamm ZMR 2005, 566.
[6] BT-Drucks 16/887 S. 29.
[7] LG München I ZMR 2015, 799; ZMR 2016, 61; LG Hamburg ZMR 2018, 433, 434; AG Hamburg-Barmbek ZMR 2015, 578, 579; AG Oldenburg ZMR 2015, 974, 976; a.A. zu Recht Staudinger/Lehmann-Richter, § 22 WEG Rn 27.
[8] LG München I ZMR 2015, 799; ZMR 2016, 61.

2. Jetzige Regelung

a) Notwendigkeit einer Beschlussfassung

 

Rz. 7

Diese zum früheren Recht bereits h.M. hat der Gesetzgeber nunmehr in § 20 Abs. 1 WEG in Gesetzesrang erhoben. Demnach bedarf, wie auch die Gesetzesmaterialien betonen, jede bauliche Veränderung der Gestattung durch Beschluss.[9] Dies gilt selbst dann, wenn kein Wohnungseigentümer beeinträchtigt wird oder alle Wohnungseigentümer der Veränderung zugestimmt haben. Jegliche bauliche Veränderung wird erst durch einen Beschluss legalisiert. Dies soll auch dem Umbauwilligen zugutekommen, der auf diesem Wege Rechtssicherheit über die Zulässigkeit seiner Maßnahme erlangt.[10]

[9] BT-Drucks 19/18791, S. 59 f.
[10] BT-Drucks 19/18791, S. 60.

b) Veränderungen durch die Gemeinschaft und durch einzelne Wohnungseigentümer

 

Rz. 8

Im Gegensatz zum früheren Recht differenziert der Gesetzgeber zwischen baulichen Veränderungen der Gemeinschaft und Veränderungen, die einem Wohnungseigentümer gestattet werden. Diese Differenzierung ist allerdings für das Beschlussrecht ohne Bedeutung. Bauliche Veränderungen der Wohnungseigentümergemeinschaft und einzelner Wohnungseigentümer werden beschlussrechtlich gleich behandelt, insbesondere bestehen keine Unterschiede in den Mehrheitserfordernissen. Bedeutung erlangt dieser Unterschied erst im Zusammenhang mit den Kosten und Folgekosten einer baulichen Veränderung.

c) Nachträgliche Gestattungen

 

Rz. 9

Gesetzestext und -materialien äußern sich nicht zu der Frage, wann ein Beschluss über bauliche Veränderungen zu fassen ist. Nach früher wohl einhelliger Praxis musste die Beschlussfassung nicht vor Durchführung der baulichen Veränderung erfolgen; eine bereits vorgenommene bauliche Veränderung konnte nachträglich genehmigt werden.[11] Dass der Gesetzgeber diese Möglichkeit abschaffen wollte, lässt der Gesetzestext nicht erkennen. Allerdings verliert die mit dieser Nachgenehmigung früher verbundene Privilegierung, dass die bauliche Veränderung nicht mehr bestimmt beschrieben werden musste, weil sie für jeden objektiven Dritten erkennbar war, erheblich an Bedeutung. Denn die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Beschlusses werden auch für die Vorabgestattung erheblich gelockert.[12]

[11] S. zuletzt BGH, Urt. v. 15.5.2020 – V ZR 64/19, WuM 2020, 518 = ZfIR 2020, 575 = GE 2020, 997.
[12] S. u. Rdn 17 ff.

3. Problematik in Verbindung mit der vereinfachten Definition

 

Rz. 10

Das neue Beschlusserfordernis auch für bauliche Veränderungen, die keinen Miteigentümer beeinträchtigen, führt gerade in der Verbindung mit ihrer vereinfachten Definition zu Problemen, die ein durchschnittlicher Wohnungseigentümer kaum voraussehen wird. So geht etwa das Bohren eines Loches in eine tragende und somit dem Gemeinschaftseigentum zugehörige Wand samt Anbringen eines Dübels über eine bloße Maßnahme der Erhaltung hinaus. Denn Loch und Dübel dienen ja weder der Instandhaltung noch der Instandsetzung der tragenden Wand. Es handelt sich somit um eine bauliche Veränderung gemäß § 20 Abs. 1 WEG. Dieses auf den ersten Blick überraschende (um nicht zu sagen widersinnige) Ergebnis kann auch nicht mehr durch die frühere Definition der baulichen Veränderung, die eine gegenständliche Umgestaltung des Gemeinschaftseigentums voraussetzte, bereinigt werden. Denn hierauf hat der Gesetzgeber bei der Vereinfachung der Definition baulicher Veränderungen bewusst verzichtet. Im Ergeb...

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