I. Systematik

 

Rz. 45

Die Möglichkeit, bauliche Änderungen zu verlangen, bot schon das alte Recht, beschränkte sich aber darauf, die Zustimmung aller hierdurch beeinträchtigter Wohnungseigentümer als Voraussetzung eines solchen Verlangens zu nennen. § 20 Abs. 2, 3 WEG gehen weit darüber hinaus. § 20 Abs. 3 WEG behält den Anspruch auf bauliche Veränderungen bei Zustimmung aller beeinträchtigten Wohnungseigentümer bei. § 20 Abs. 2 WEG listet vier privilegierte Tatbestände auf, bei deren Vorliegen eine bauliche Veränderung auch ohne Zustimmung der beeinträchtigten Wohnungseigentümer verlangt werden kann. Zudem wird das vom Wohnungseigentümer einzuhaltende Vorgehen näher geregelt. Über § 13 Abs. 2 WEG findet die Vorschrift auch auf Maßnahmen im Sondereigentum Anwendung, die über dessen Erhaltung hinausgehen.

II. Privilegierte Maßnahmen

1. Gebrauch durch Menschen mit Behinderung (§ 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG)

 

Rz. 46

Einen Anspruch auf bauliche Veränderungen normiert § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG zunächst, wenn diese dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderung dient. Die Norm ist weit gefasst, geht also über die früher im Zentrum des Interesses stehende Barrierefreiheit weit hinaus, auch wenn diese weiterhin die bedeutendste Fallgruppe darstellen dürfte. Dies zeigt nicht zuletzt die im letzten Absatz der Gesetzesmaterialien zu § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG wieder auf die Barrierefreiheit konzentrierte Begründung des Gesetzgebers.[37] Unter § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG fallen jegliche Maßnahmen, die Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung den Gebrauch des Wohnungseigentums erleichtern. Dies können neben Zugangshilfen wie Aufzügen, Rollstuhlrampen, Treppenliften etc. Orientierungshilfen oder zusätzlichen Beleuchtungsmitteln für Sehbehinderte Haltegriffe für Menschen mit Gleichgewichtsstörungen und schlechterdings jede andere Maßnahme sein, die für Menschen mit Behinderung zur Nutzung von Gemeinschafts- und Sondereigentum förderlich sind.

[37] BT-Drucks 19/18791, S. 61.

2. Laden elektrischer Fahrzeuge (§ 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG)

a) Betroffene Einrichtungen

 

Rz. 47

Jeder Wohnungseigentümer kann aus § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG bauliche Veränderungen verlangen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen. Die Reichweite dieser Vorschrift ist erheblich; sie erfasst nicht nur die Lademöglichkeit im engeren Sinne, sondern die gesamte Infrastruktur von der Verlegung der Versorgungsleitungen zur Ladebox über die Verstärkung der vorhandenen Stromversorgung bis hin zu Telekommunikationseinrichtungen zur sinnvollen Nutzung der Ladestellen. Ebenso ist die Anpassung von Zählerschränken etc. an die erweiterte Nutzung von § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG erfasst.[38] Dabei begreift der Gesetzgeber die Herstellung der Lademöglichkeit nicht als statischen Vorgang wie seinerzeit die Herstellung von Fernsprech-, Rundfunkempfangs- und Energieversorgungsanlagen nach § 21 Abs. 5 Nr. 6 WEG a.F. Vielmehr unterfällt nach dem Bekunden der Gesetzesmaterialien nach der erstmaligen Herstellung einer Ladeeinrichtung auch deren Verbesserung einem Verlangen nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG.[39] Die Vorschrift geht ferner über bestehende Regelwerke wie das EmoG und Ladesäulenverordnung hinaus, als sowohl technische Weiterentwicklungen der Ladetechnik als auch weitere, etwa im EmoG nicht genannte Elektrofahrzeuge von § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG erfasst sind.[40]

[38] BT-Drucks 19/18791, S. 62.
[39] BT-Drucks 19/18791, S. 61.
[40] BT-Drucks 19/18791, S. 62.

b) Kapazitätsprobleme

 

Rz. 48

Der Gesetzgeber erkennt in den Materialien das Problem, dass die vorhandene Infrastruktur nicht zur Versorgung aller oder zumindest der ladewilligen Wohnungseigentümer ausreicht. Dem begegnet er einerseits gesetzesimmanent, indem er die Verstärkung als bauliche Veränderung nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG ansieht, die jeder Wohnungseigentümer verlangen kann. Da ein entsprechender Beschluss allerdings die Kostenfolge des § 21 Abs. 1 S. 1 WEG nach sich zieht, wird es häufig bei der für die E-Mobilität unzureichenden Ladeinfrastruktur bleiben.[41] Für diesen Fall sieht die Gesetzesbegründung eine Neuerung vor: Statt, wie nach bisheriger Auffassung bei ungenügenden Kapazitäten, soll die gemeinschaftliche Einrichtung nicht insgesamt unbenutzt bleiben[42] bzw. ein Antrag nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG ausgeschlossen sein.[43] Vielmehr sollen die vorhandenen Kapazitäten gleichmäßig verteilt werden, was häufig auf dasselbe hinauslaufen wird, da kurze Ladezeiten oder längere in großen Zeitabständen niemandem helfen.

 

Rz. 49

 

Praxistipp

Ein häufiges Problem bei der Versorgung einer Vielzahl ladewilliger Wohnungseigentümer wird das öffentliche Versorgungsnetz sein. Dieses Defizit lässt sich mit den Möglichkeiten des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG nicht beheben. Denn diese Vorschrift gestattet nur bauliche Veränderungen, also Maßnahmen im Gemeinschaftseigentum. Selbst die mittelbare Beteiligung an Verbesserungen des öffentlichen Versorgungsnetzes durch finanzielle Beiträge kann auf der Grundlage des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG nicht beschlossen werden, geschweige denn bauliche Maßnahmen durch die Wohnungseigentümergemeinschaft.

[41] Denkbar ist allerdings eine gemeinsame Kostentragung mehrerer Benutzer der verbess...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?