Rz. 5

Der Rechtsstatus der Fahrerlaubnisse, die von einem EU-/EWR-Land erteilt worden sind, wird im nationalen Recht durch § 28 FeV geregelt. Diese Norm ist stark durch die Rechtsprechung des EuGH geprägt und daher in den letzten Jahren immer wieder an diese angepasst worden (zuletzt durch Art. 1 der Verordnung vom 14.8.2017 (BGBl I S. 3232). Der EuGH hat fortlaufend das Fahrerlaubnisrecht durch Grundsatzentscheidungen zur Auslegung der verschiedenen EU-Führerscheinrichtlinien gestaltet.[1] Das deutsche Recht bzw. die Rechtsanwendung von Behörden und Gerichten wurde vom Gerichtshof nicht nur einmal als unvereinbar mit der Führerscheinrichtlinie bezeichnet.

 

Rz. 6

Seit der Entscheidung des EuGH vom 29.2.1996 in der Sache Skanavi und Chrysanthakopoulos,[2] welche auf einen Vorlagebeschluss des AG Berlin-Tiergarten erging,[3] gilt im europäischen Recht das Prinzip der wechselseitigen und bedingungslosen Anerkennung aller von den EU-/EWR-Ländern ausgestellten Fahrerlaubnisse, wie es mittlerweile auch in § 28 Abs. 1 FeV verankert ist.[4] Es besagt – in kurzen Worten – dass die von einem EU-Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnisse in allen Mitgliedstaaten ohne jede Formalität anzuerkennen sind. Dies wird vom EuGH als wichtiger Baustein der Grundfreiheiten, insbesondere der Dienstleistungs- (Art. 56 AEUV) und Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), angesehen.

 

Rz. 7

Der vom EuGH postulierte Anerkennungsgrundsatz führte bald zum sog. "Führerscheintourismus". Wegweisend war die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kapper vom 29.4.2004.[5] Dort ging es um folgenden Sachverhalt: Dem Angeklagten war in Deutschland seine Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen worden. Nach Ablauf der entsprechenden Sperrfrist (§ 69a StGB) hatte er eine niederländische Fahrerlaubnis erworben. Nach den Informationen der deutschen Behörden hatte der Angeklagte jedoch seinen Wohnsitz nie in die Niederlande verlegt. Der EuGH entschied auf Vorlage des AG Frankenthal,[6] bei welchem gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) anhängig war, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur wechselseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen auch dann besteht, wenn deren Inhaber – wie der Angeklagte – zum Erwerbszeitpunkt seinen Wohnsitz nach den Informationen des Aufnahmestaates gar nicht in dem betreffenden Staat hatte. Der EuGH sprach Deutschland also die Befugnis ab, die Einhaltung der Erteilungsvoraussetzungen für die ausländische EU-Fahrerlaubnis im Ausstellerstaat zu überprüfen. Es sei, so der EuGH, lediglich zu verlangen, dass – wie es in der Strafsache Kapper der Fall war – die nationale Sperrfrist zur Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis am Tag der Ausstellung der neuen Fahrerlaubnis in einem anderen EU-/EWR-Land bereits abgelaufen war. Nachfolgend hat der EuGH diese Rechtsprechung durch entsprechende, in dieselbe Richtung gehende Urteile präzisiert.[7] Damit war der "Führerscheintourismus" geboren,[8] also diejenige Praxis, dass Kraftfahrer, denen ihre deutsche Fahrerlaubnis – in der Regel wegen Trunkenheits- oder Drogenfahrten – entzogen worden war, sich nach Ablauf der Sperrfrist und insbesondere ohne eine medizinisch-psychologische Begutachtung (§ 11 Abs. 3 FeV) in einem anderen EU-/EWR-Staat eine neue Fahrerlaubnis beschafften.[9] Insbesondere in einigen osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten entwickelten sich hieraus in der Folgezeit neue, recht erfolgreiche Geschäftszweige.[10] Achtete man als "Führerscheintourist" darauf, vor dem Erwerb der neuen EU-Fahrerlaubnis das Ende der deutschen Sperrfrist (§ 69a StGB) abzuwarten, konnte man anschließend in Folge der Kapper-Entscheidung mit seiner neuen EU-Fahrerlaubnis ohne das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung nach § 21 StVG in Deutschland ein Kfz im Straßenverkehr führen, auch wenn man niemals in dem Ausstellerstaat gelebt hatte.[11] Dies jedenfalls theoretisch: Der Strafverfolgungsdruck war – politisch gewollt – stets hoch, falsche Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen waren häufig anzutreffen.

Basis für den Anerkennungsgrundsatz ist und bleibt jedoch die Prämisse, dass davon auszugehen ist, dass auch die Ablegung einer Fahrprüfung im EU-Ausland den Beleg dafür liefert, dass der Bewerber hierdurch die Eignung zum Führen von Kfz unter Beweis gestellt hat. Der förmlich korrekte Fahrerlaubniserwerb im EU-Ausland bildet insoweit eine Zäsur, die deutschen Behörden den Rückgriff auf Eignungszweifel, die auf vor dem Neuerwerb eingetretenen Tatsachen (z.B. Alkoholmissbrauch vor der Neuerteilung) beruhen, verwehrt: Die Fahrerlaubnisbehörden dürfen in diesen Fällen also die Anerkennung der neuen EU-Fahrerlaubnis nicht schon deshalb verweigern, weil für die Wiedererteilung im Inland eine medizinisch-psychologische Untersuchung der Fahreignung erforderlich gewesen wäre. Dieser Grundsatz gilt bis heute.

 

Rz. 8

Im Jahr 2008 kam es zu einer Präzisierung in der Rechtsprechung des EuGH. Nun entschied das Luxemburger Gericht in der Rechtssache Wiedemann und Funk,[12] d...

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