Rz. 423
Die wirksam zustande gekommene Ehe muss gescheitert sein. Gescheitert ist eine Ehe, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen, § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB. Diese Legaldefinition beinhaltet zwei Komponenten. Bei der einen Komponente handelt es sich um die "Diagnose", also die Feststellung, dass die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen den Ehegatten nicht mehr besteht. Die andere Komponente ist die "Prognose", also die Feststellung, dass die Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr erwartet werden darf.
Rz. 424
Der Begriff der "ehelichen Lebensgemeinschaft" umfasst das eheliche Verhältnis insgesamt, also sowohl die äußere häusliche als auch die wechselseitige innere Bindung der Ehegatten zueinander. Dementsprechend besteht eine eheliche Lebensgemeinschaft jedenfalls dann nicht mehr, wenn die Ehegatten voneinander getrennt sind (Diagnose). An dieser Stelle wird auf die Ausführungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen der Trennung verwiesen. Wann die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden kann (Prognose), ist im Einzelfall unter Würdigung aller Umstände zu prüfen. In der Regel wird aber die Selbsteinschätzung der Eheleute ausreichen.
Rz. 425
Auch in Fällen, in denen der Scheidungswille des Antragstellers nicht mehr sicher feststellbar ist, kann das Scheitern der Ehe bejaht werden. Relevant ist das, wenn ein geistig geschädigter Ehegatte entweder selbst die Scheidung der Ehe beantragen möchte, oder aber dies durch einen Bevollmächtigten verlangt wird. Dann stellt sich die Frage, inwiefern der geistig Geschädigte überhaupt dazu fähig ist, sich innerlich von der ehelichen Lebensgemeinschaft abzuwenden. Grundsätzlich darf einem geistig geschädigten Antragsteller die Feststellung des Scheiterns der Ehe und damit die Ehescheidung nicht allein deshalb verwehrt werden, weil er sich nicht einen Rest von Empfinden für die Zerrüttung der Ehe bewahrt hat. Es kann dazu sogar vertreten werden, dass er überhaupt nicht mehr das Bewusstsein besitzt, in einer Ehe zu leben, jedes Verständnis für die Ehe verloren hat und damit kein eheliches Empfinden mehr aufweist. Mit diesem Zustand hat er einen äußersten Grad von Eheferne erreicht. Insofern soll derartiger Zustand nicht geringer bewertet werden als der bewusste Verlust der ehelichen Gesinnung.
Problematisch kann dann allerdings im Einzelfall die Antragsbefugnis sein. Denn in einem vorgenannten Fall wird der Beteiligte nicht mehr geschäftsfähig sein. Es bedarf dann auf jeden Fall einer rechtswirksamen Bevollmächtigung der Verfahrensvertreter.
Rz. 426
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Tatbestandsvoraussetzung einer Scheidung das Gescheitertsein der Ehe ist. Bis auf die Härtefallscheidung beinhalten die vier Scheidungstatbestände, die das Gesetz kennt und die im Folgenden behandelt werden, keine weiteren eigenen Tatbestandsvoraussetzungen, sondern dienen lediglich der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.
Rz. 427
Hinweis
Tatbestandsvoraussetzung der Scheidung ist das "Gescheitertsein der Ehe". Nur für den Fall der Trennung von weniger als einem Jahr muss zusätzlich noch eine unzumutbare Härte vorliegen.
Die vier im Gesetz normierten Scheidungstatbestände beziehen sich nicht auf weitere Tatbestandsvoraussetzungen, sondern sind Regeln über die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "Gescheitertsein".
a) Trennung von weniger als einem Jahr/Härtefallscheidung
Rz. 428
Wenn die Ehegatten getrennt sind, seit dem Tag der Trennung aber noch nicht ein Jahr verstrichen ist, ist gemäß § 1565 Abs. 2 BGB eine Scheidung nur dann möglich, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Tatbestandsvoraussetzungen für eine solche Härtefallscheidung sind demnach, dass die Ehe der Beteiligten zerrüttet ist und zusätzlich eine unzumutbare Härte vorliegt. Die unzumutbare Härte folgt dabei weder bereits aus dem Scheitern der Ehe an sich noch aus den dazu führenden Umständen. Es ist vielmehr darauf abzustellen, dass es für den Antragsteller nicht mehr erträglich sein darf, an den Antragsgegner weiterhin als Ehepartner gebunden zu sein. Für die Beurteilung dessen ist aber nicht auf die subjektive Sicht des Beantragenden abzuste...