Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 604
Der Unterhaltsanspruch des betreuenden Elternteils aus § 1570 Abs. 1 BGB als Basisunterhalt bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes sowie der verlängerte Unterhaltsanspruch ab Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes nach § 1570 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB stellen Ansprüche des betreffenden Elternteils aus kindbezogenen Gründen dar.
Es kann aber auch die Eltern betreffende, aus der Gestaltung der Ehe und dessen Dauer herrührende Unterhaltsansprüche geben, sogenannte elternbezogene Gründe zur Zahlung von Betreuungsunterhalt.
Rz. 605
Der besondere Verlängerungsgrund nach § 1570 Abs. 2 BGB ist auch erst dann zu prüfen, wenn nach § 1570 Abs. 1 BGB eine weitergehende Erwerbsobliegenheit besteht. § 1570 Abs. 2 BGB korrigiert daher eine nach § 1570 Abs. 1 BGB bestehende Erwerbsobliegenheit.
Die Rechtfertigung für die Verlängerung des Betreuungsunterhaltes liegt hier nicht in der Wahrung des Kindeswohls, sondern in der Ehe und der nachehelichen Solidarität. Maßgeblich ist in erster Linie das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Elternbetreuung. Voraussetzung ist eine Ehedauer, die zu einer Verfestigung dieser Lebensplanung geführt hat.
Über die Frage der Unterhaltsverlängerung aus diesen Gründen ist im Rahmen des § 1570 Abs. 2 BGB in umfassender Abwägung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
Rz. 606
Für den Fall des Vorliegens der Voraussetzungen verlängert sich der Unterhaltsanspruch ohne weiteres. Abs. 2 des § 1570 BGB stellt keinen selbstständigen Unterhaltsanspruch dar, sondern einen "Annexanspruch" zu § 1570 Abs. 1 BGB.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen zu dieser Ausnahmeregelung ist der Berechtigte darlegungs- und beweispflichtig.
Rz. 607
Der zusätzliche Anspruch beruht auf Gründen, die ihre Grundlage im Vertrauen des betreffenden Elternteils haben, dass eine konkludent oder ausdrücklich vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung weitergeführt wird. Damit hat derjenige Ehegatte, der im Interesse der Kindererziehung seine Erwerbstätigkeit dauerhaft aufgegeben oder Karrierepläne zurückgestellt hat, einen längeren Anspruch auf Betreuungsunterhalt als ein Ehegatte, der von vornherein alsbald wieder in den Beruf zurückkehren wollte.
Rz. 608
Die Belastung des betreuenden Elternteils durch berufliche Ausbildungs-, Fortbildungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen stellt jedoch keinen elternbezogenen Grund im Sinne des § 150 Abs. 2 BGB dar.
Bei solchen Belastungen können Ansprüche auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB oder auf Ausbildungsunterhalt nach § 1575 BGB gegeben sein. Solche Umstände können auch maßgebend für die Frage einer angemessenen Erwerbstätigkeit im Sinne von § 1574 BGB sein.
Rz. 609
§ 1570 BGB soll dagegen nur die Nachteile ausgleichen, die dadurch entstehen, dass der Unterhaltsberechtigte durch die Kinderbetreuung einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nicht nachgehen kann.
Soweit die Betreuung des Kindes sichergestellt ist, verlängert sich der Unterhaltsanspruch gemäß § 1570 Abs. 2 BGB nur,
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wenn dies unter Berücksichtigung der Gestaltung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit in der Ehe sowie |
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der Dauer der Ehe der Billigkeit entspricht. |
Gründe für die Verlängerung des Betreuungsunterhalts rechtfertigen sich aus der nachehelichen Solidarität. Entscheidend ist das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Kinderbetreuung.
Rz. 610
Hinweis
Derjenige, der im Interesse der Kindererziehung seine Erwerbstätigkeit dauerhaft aufgegeben oder zurückgestellt hat, wird ein längerer Anspruch auf Betreuungsunterhalt einzuräumen sein als demjenigen, der von vornherein wieder in den Beruf zurückkehren wollte.
Rz. 611
Namentlich kann dies in Familienverhältnissen von mehreren Kindern der Fall sein, wenn die Ehegatten von vornherein die Vollzeitbetreuung durch einen der Elternteile vereinbart und in dieser Weise praktiziert hatten.
Rz. 612
Die – auch konkludente – Vereinbarung hinsichtlich der gemeinsamen Ausgestaltung der Kindesbetreuung ist von demjenigen Elternteil, der sich hierauf beruft, konkret darzulegen und glaubhaft zu machen. Lediglich einseitige Erziehungsvorstellungen des Unterhalt begehrenden geschiedenen Ehegatten werden durch § 1570 Abs. 2 BGB ebenso wenig gestützt wie das bloße Vertrauen des betreuenden Elternteils in der Fortgeltung der bisherigen Praxis.
Rz. 613
Insbesondere bei guten wirtschaftlichen Verhältnissen wird häufig durch konkludente Vereinbarung eine gemeinsame Lebensplanung darin bestehen, dass sich der nicht erwerbstätige Elternteil in einer sogenannten Hausfrauenehe vollzeitlich um das oder die Kinder kümmern sollte.
Rz. 614
Auch die Dauer der Ehe kann den Anspruch auf Betreuungsunterhalt verlängern. Hiermit wird das in langjähriger Lebensgemeinschaft entstandene Vertrauen in das Fortbestehen der Ehe geschützt. Ein solcher Sachverhalt wird aber selten vorliegen, ...