Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 575
Mit einem Arbeitsumfang von 30 Wochenstunden genügt daher eine Mutter ihrer Erwerbspflicht, wenn sie im ländlichen Raum drei Kinder im Alter zwischen 12 und 17 Jahren betreut und auf keine verlässliche Fremdbetreuung zurückgreifen kann. Dies schließt andererseits nicht aus, dass ggf. die bisherigen Abläufe abweichend zu organisieren sind und mit Rücksicht auf die Erwerbspflichten auch bisherige Aktivitäten eingeschränkt werden müssen.
Rz. 576
Ist eine Ganztagsbetreuung des Kindes sowohl während der Grundschulzeit als auch nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule gewährleistet, sind die Erwerbsmöglichkeiten durch die Kindesbetreuung nicht wesentlich eingeschränkt. Dies gilt jedoch nur dann, wenn ein funktionierendes, großzügiges Umgangsrecht den betreuenden Elternteil entlastet.
Regelmäßig wird deshalb auch eine Ganztagsbetreuung eine vollschichtige Erwerbstätigkeit von 40 Stunden pro Woche nicht ermöglichen.
In der Rechtsprechung wird zum Teil jedoch von einer vollschichtigen Erwerbsverpflichtung ausgegangen, wenn es außerfamiliäre Betreuungsmöglichkeiten gibt, die zumutbar in Anspruch genommen werden können.
Rz. 577
Grundsätzlich steht dem vom nicht betreuenden Elternteil zu leistende Barunterhalt dem vom anderen Elternteil zu leistende Betreuungsunterhalt gegenüber. Deshalb sind bei der Beurteilung der Erwerbsobliegenheit nur die das übliche Maß übersteigende Betreuungsleistungen zu berücksichtigen. Diese sind vom betreuenden Elternteil substantiiert darzulegen.
Es ist deshalb konkret vorzutragen, dass z.B. das Kind besonders musisch begabt ist und in dieser Hinsicht mehr als üblich gefördert werden muss oder – umgekehrt – eine über das übliche Maß hinaus gehende Förderung wegen besonderer Lernschwierigkeiten notwendig ist.
Rz. 578
Der verlängerte Unterhaltsanspruch ab Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes stellt gegenüber dem regelmäßigen Basisunterhalt einen Ausnahmetatbestand dar. Damit wird nach Ablauf des Dreijahreszeitraumes regelmäßig zumindest eine teilweise Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils erwartet.
Rz. 579
Hinsichtlich des Umfanges ist stets eine umfassende Abwägung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist aber nach Ablauf der Dreijahresfrist eine Vollzeitbetreuung durch einen Elternteil unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls nicht mehr zwingend geboten. Das Kindeswohl ist ab diesem Alter regelmäßig auch dann gewahrt, wenn seine Betreuung ganz oder teilweise durch Dritte sichergestellt wird.
Entscheidend für die Frage der Verlängerung des Unterhaltsanspruches ist aber zunächst im Einzelfall zu klären, ob und in welchem Umfang tatsächlich Betreuungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Rz. 580
Jüngere Kinder können auch nicht stundenweise sich selbst überlassen bleiben. Der betreuende Elternteil kann daher nur solange und soweit zu einer Erwerbstätigkeit verpflichtet sein, als das Kind tatsächlich von Dritten betreut werden kann.
Rz. 581
Von der Arbeitszeit abzurechnen sind ein sicherer Hin- und Rückweg von der Arbeitsstelle zur Kinderbetreuung sowie eine weitere Karenzzeit von mindestens einer Stunde täglich zur Erledigung weiterer Aufgaben außerhalb des Hauses wie z.B. Einkaufen, Behördengänge, Arztbesuche etc.
Die gleichen Erwägungen zum zeitlich eingeschränkten Erwerbszeitraum gelten für den Fall von
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Entwicklungsstörungen des Kindes, |
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von langwierigen bzw. dauerhaften Erkrankungen, |
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psychischer Labilität des Kindes |
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sowie bereits stark hervorgetretener besonderer z.B. sportlicher oder musischer Begabung, die besonderer Förderung bedarf. |
Rz. 582
Die vorhandenen Betreuungsmöglichkeiten müssen naturgemäß zumutbar und verlässlich sein. Die Obliegenheit zur Inanspruchnahme von Betreuungsmöglichkeiten für das Kind besteht nur dann, wenn die Betreuung mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Davon ist bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kinderhorten pp. regelmäßig auszugehen.
Bestreitet der betreuende Elternteil die Kindeswohlvereinbarkeit einer öffentlichen Betreuungseinrichtung, trifft ihn die Darlegungs- und Beweispflicht.
Rz. 583
Der betreuende Elternteil hat sich im Wissen um den zeitlich bevorstehenden Vorrang der Fremdbetreuung rechtzeitig, mithin vor Ablauf des dritten Lebensjahres des Kindes um einen Platz für eine Fremdbetreuung zu bemühen.
In diesem Zusammenhang trifft den betreuenden Elternteil allerdings keine Obliegenheit zu einem Wohnortwechsel und auch keine Obliegenheit, einen Wechsel des Kindes von einem Kindergarten mit Halbtagsbetreuung in einen Kindergarten mit Ganztagsbetreuung vorzunehmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn vor der Trennung der Eltern einvernehmlich der derzeit von dem Kind besuchte Kindergarten ausgewählt wurde.