Rz. 173

Für den nachehelichen Unterhalt gilt gem. § 1572 BGB, dass dann von einem (früheren) Ehepartner eine angemessene Erwerbstätigkeit nicht oder nur teilweise zu erwarten ist, wenn dieser wegen Krankheit, eines anderen Gebrechens oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, in angemessener Weise für sich selbst zu sorgen.[194]

 

Rz. 174

Die Krankheit muss dabei nicht ehebedingt sein.[195] Sie ist es in der Regel auch nicht.

Der Krankheitsbegriff ist weit auszulegen und entspricht den entsprechenden Begriffen im Sozialversicherungs- und Beamtenrecht (§ 1247 Abs. 2 RVO bzw. § 42 Abs. 1 S. 1 BBG)

Auch Suchterkrankungen ohne Verschuldensaspekt (Alkohol/Drogen/Medikamente) fallen hierunter.[196]

 

Rz. 175

 

Hinweis

Unternimmt der Unterhaltsberechtigte allerdings nicht alles Zumutbare, um seine Erkrankung behandeln zu lassen, verliert er den auf § 1572 BGB gestützten Unterhaltsanspruch.[197]

 

Rz. 176

Der Unterhaltsanspruch kann darüber hinaus verwirkt sein, wenn – was nur in krassen Fällen nachweisbar sein wird – der Unterhaltsberechtigte sich in Erkenntnis der Zusammenhänge und bei ausreichender Steuerungskraft der therapeutischen Hilfe entzieht.[198]

 

Rz. 177

Eine krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit liegt auch vor, wenn schwere, schicksalhafte Erkrankungen auftreten, die möglicherweise ihre Ursache allein in der Person eines Ehegatten haben oder ggf. sogar in der Zeit vor Eheschließung angelegt sind. Korrekturen können ggf. nach den Verwirkungsvorschriften der §§ 1579 Nr. 4 und 8 BGB erfolgen.

 

Rz. 178

 

Hinweis

Zu beachten ist, dass nicht eine Erkrankung im Sinne des § 1572 BGB gleichzeitig den Härtegrund des § 1579 Nr. 8 BGB erfüllen und den Unterhaltsanspruch ausschließen darf. Der BGH erklärt dazu, dass es zur ehelichen Solidarität gehört, dem anderen Ehegatten in Fällen schicksalhafter Erkrankungen zu helfen.[199]

Merke deshalb: Ansprüche nach § 1572 BGB können überlagert sein durch gleichzeitig bestehende Ansprüche nach §§ 1570, 1571 und 1575 BGB.

 

Rz. 179

Die Prüfung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und der Nichterwerbstätigkeit erfolgt unter strengen Maßstäben.[200] So kommt man in der Regel in einem solchen Verfahren nicht ohne Sachverständigengutachten bzw. amtsärztlicher Bescheinigung aus.

 

Rz. 180

Besonders zurückhaltend beurteilt die Rechtsprechung psychische Belastungen. Diese gehen nach Auffassung des BGH vielfach mit einer Trennung/Scheidung einher und können ggf. durch Behandlung überwunden werden. Sie sind daher nicht generell zur Begründung eines Unterhaltsanspruches wegen Krankheit geeignet.[201]

Solange die seelische Störung nicht übermächtig ist, darf die "Flucht" in neurotische Erkrankungen rechtlich nicht honoriert werden.[202]

 

Rz. 181

Wenn sich der Unterhaltsberechtigte darauf beruft, aufgrund Erkrankung nicht zu einer Erwerbstätigkeit nicht in der Lage zu sein, so kann dies selbstverständlich nicht pauschal mit der Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt werden. Vielmehr wird bereits für den konkreten Sachvortrag eine Antragsschrift erforderlich sein, ein detailliertes ärztliches Attest vorzulegen. Hieraus sollte sich nicht pauschal eine Arbeitsunfähigkeit ergeben, sondern es sollte detailliert geschildert werden:

Diagnose,
Dauer der Erkrankung,
Art der Behandlung,
Auswirkungen der Erkrankung auf die Erwerbsfähigkeit sowie – falls möglich –
eine Prognose, wann mit einer Genesung zu rechnen ist bzw. welche Maßnahmen (z.B. Reha) erforderlich sind, um eine möglichst rasche Genesung zu ermöglichen.

Einem insoweit "ins Blaue hinein" gestellten Beweisantrag ist nach Auffassung des BGH nicht zu folgen.[203]

 

Rz. 182

Wenn ein Rentenantrag wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit noch nicht beschieden ist, kann der Verpflichtete dem Berechtigten ein zins- und tilgungsfreies Darlehen gegen Abtretung des Anspruches auf Rentennachzahlung anbieten. Dies muss der Berechtigte aus den Gesichtspunkten von "Treu und Glauben" nach § 244 BGB annehmen.[204]

[194] Dazu Viefhues, FuR 2019, 366.
[196] BGH FamRZ 1988, 375.
[197] BGH NJW 1994, 1593.
[198] OLG Hamm FamRZ 1999, 137, 238: Bewusstes Vermeiden ärztlicher Hilfe bei neurotischen Depressionen.
[199] BGH FamRZ 1995, 1405.
[200] BGH FamRZ 1984, 353.
[201] OLG Hamm FamRZ 1995, 996.
[202] Horndasch, Rn 796.
[204] BGH FamRZ 1983, 574.

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