Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
1. Normzweck
Rz. 870
Nach § 1576 BGB kann soweit und solange vom anderen geschiedenen Ehegatten Unterhalt verlangt werden, wie von ihm aus "sonstigen schwerwiegenden Gründen" eine Erwerbstätigkeit nicht oder nicht in vollem Umfange erwartet werden kann und die Versagung von Unterhalt unter Berücksichtigung Belange beider früherer Ehegatten grob unbillig wäre.
Die positive Billigkeitsklausel des § 1576 BGB soll Ausnahmefälle von Bedürftigkeit erfassen, die nicht unter die Vorschriften der §§ 1570 bis 1575 BGB fallen. Sie ist diesen Vorschriften daher subsidiär und nur ausnahmsweise in Härtefällen anzuwenden.
2. Anspruchsvoraussetzungen
Rz. 871
Unterhalt aus Billigkeitsgründen kann unter drei Voraussetzungen beansprucht werden:
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Vorliegen eines (sonstigen) schwerwiegenden Grundes; |
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wegen des schwerwiegenden Grundes ist eine Erwerbstätigkeit nicht oder nur teilweise zu erwarten; |
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die Versagung des Unterhalts ist grob unbillig. |
a) Sonstige schwerwiegende Gründe
Rz. 872
Schwerwiegende Gründe müssen nicht ehebedingt sein. Die Gründe müssen auch zum Verhalten des in Anspruch genommenen Ehegatten keinen sachlichen Bezug aufweisen. Die Gründe müssen jedoch in ihrer Bedeutung den Tatbeständen der §§ 1570 ff. BGB vergleichbar sein.
Auch wenn die schwerwiegenden Gründe nicht ehebedingt sein müssen, bildet die Ehebedingtheit einen wesentlichen Anhaltspunkt dafür, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, der die Versagung des Unterhalts grob unbillig macht.
b) Grobe Unbilligkeit
Rz. 873
Die Zuerkennung eines Unterhaltsanspruches nach § 1576 BGB trägt absoluten Ausnahmecharakter. Die Versagung des Unterhaltes muss daher dem Gerechtigkeitsempfinden in ganz erheblicher Weise widersprechen.
In der Praxis erfasst der Anspruch auf Zahlung von Billigkeitsunterhalt nach § 1576 vor allem den Fall der Betreuung nicht gemeinschaftlicher Kinder, also von Pflegekindern, und Stiefkindern, aber auch sonstigen nahen Angehörigen z.B. einem Enkelkind.
Die langjährige Betreuung solcher Kinder kann dann einen Unterhaltsanspruch unter denselben Bedingungen auslösen, wie sie für den Kindesbetreuungsunterhalt gelten würden.
Rz. 874
Praxistipp
Allein die Pflege und Betreuung nicht gemeinschaftlicher Kinder reicht nicht aus, um einen Anspruch aus § 1576 BGB zu begründen, denn der Betreuungsunterhaltsanspruch nach § 1570 BGB ist grundsätzlich auf gemeinschaftliche Kinder beschränkt.
Rz. 875
In Fällen der Betreuung nicht gemeinschaftlicher Kinder müssen besondere Umstände hinzutreten, durch die ein besonderer Vertrauenstatbestand für den bedürftigen Ehegatten geschaffen wurde. Diese gewichtigen besonderen Umstände können beispielsweise in der Langjährigkeit der zuvor gemeinsamen Betreuung und Versorgung während der Ehe liegen.
Rz. 876
Die Zeitdauer spielt dann keine Rolle, wenn es sich um ein Kind des Unterhaltspflichtigen handelt, das mit dessen Willen auch nach der Ehescheidung von dem geschiedenen Stiefelternteil weiterhin betreut wird. Es handelt sich dann um eine besondere Leistung im Sinne des § 1576 BGB gerade für den verpflichteten früheren Ehegatten.
Rz. 877
Die Betreuung von Kindern aus einer ehewidrigen Beziehung kann grundsätzlich keinen Anspruch aus § 1576 BGB begründen. Eine Ausnahme gilt dann, wenn durch entsprechendes Verzeihen des Ehebruchs seitens des unterhaltspflichtigen Scheinvaters das Kind längere Zeit Aufnahme im gemeinsamen Haushalt gefunden hat.
3. Einsatzzeitpunkt
Rz. 878
Wie der Anspruch auf Betreuungsunterhalt enthält § 1576 BGB keinen Einsatzzeitpunkt, sodass bei späterer Geltendmachung die "Unterhaltskette" nicht lückenlos vorhanden sein muss.
Mit zunehmendem zeitlichem Abstand zur Scheidung wird im Rahmen der Billigkeitsprüfung ein Unterhaltsanspruch allerdings zu versagen sein. Der Grund besteht darin, dass mit zunehmendem zeitlichem Abstand das Vertrauen des Verpflichteten darauf wächst, nicht mehr auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden. Der Anspruchsgrund im Sinne des § 1576 BGB muss daher zumindest in einem zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang mit den ehelichen Lebensverhältnissen stehen.
4. Billigkeitsabwägung
Rz. 879
Eine Unterhaltsversagung muss...