I. Materielle Wirksamkeit
Rz. 29
Der Erbvertrag ist im internationalen Vergleich eine Besonderheit des deutschsprachigen Rechtsraums und im Wesentlichen nur im Recht Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, der Tschechischen Republik und der Türkei bekannt. In Dänemark, Norwegen, England und weiteren Ländern des angloamerikanischen Rechtsraums sind Vereinbarungen möglich, mit denen sich die Erblasser verpflichten, nicht anderweitig zu testieren (Testiervertrag i.S.v. § 2302 BGB). Die Gesetze vieler anderer Staaten verbieten teilweise ausdrücklich vertragsmäßige Verfügungen. Vielfach lassen sie aber Ersatzlösungen zu. Dies gilt z.B. für Vermögenszuwendungen auf den Todesfall in Eheverträgen (institution contractuelle in Belgien, Frankreich, Luxemburg sowie vergleichbare Vereinbarungen in Spanien und Portugal), auf den Todesfall bezogene Anwachsungsvereinbarungen in güterrechtlichen Vereinbarungen über eine Gütergemeinschaft (Frankreich, Schweiz, Luxemburg, Belgien) oder die Schenkung von Todes wegen (in Griechenland, eingeschränkt auch in Italien).
Rz. 30
Art. 3 Abs. 1 lit. d EuErbVO definiert den Erbvertrag als eine Unterart der "Verfügung von Todes wegen". Nach Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO ist der Erbvertrag eine "Vereinbarung, einschließlich einer Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente, die mit oder ohne Gegenleistung Rechte am künftigen Nachlass oder künftigen Nachlässen einer oder mehrerer an dieser Vereinbarung beteiligter Personen begründet, ändert oder entzieht". Aus dieser Definition ergibt sich, dass der Begriff des Erbvertrages in der EuErbVO erheblich weiter ist als im BGB. So wird mit "der Vereinbarung, die Rechte am künftigen Nachlass oder künftigen Nachlässen einer oder mehrerer an dieser Vereinbarung beteiligter Personen … entzieht", nach allgemeiner Ansicht auch der Erbverzicht und der Pflichtteilsverzicht i.S.d. BGB erfasst (siehe im Einzelnen Rdn 75).
Rz. 31
Die materiellen Anforderungen an die Wirksamkeit vertragsmäßiger Verfügungen, ihre Bindungswirkung, wie auch die Zulässigkeit, Wirksamkeit und die Wirkungen eines Testiervertrages werden erbrechtlich qualifiziert. Maßgeblich ist gem. Art. 25 Abs. 1 EuErbVO das auf den Zeitpunkt des Abschlusses eines Erbvertrages fixierte Errichtungsstatut. Es ist also jeweils festzustellen, welches Recht nach den aktuellen Verhältnissen bei Abschluss des Vertrages für das von den Verfügungen betroffene Vermögen Erbstatut wäre.
Rz. 32
Hier ergibt sich wieder, vergleichbar der Situation beim Testament (siehe Rdn 14), folgende "Anknüpfungsleiter":
1. |
Vorrangig gilt das Recht eines Heimatstaates des vertragsmäßig Verfügenden, das dieser gem. Art. 25 Abs. 3, Art. 22 EuErbVO als auf die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit seiner Verfügung anwendbares Recht gewählt hat. |
2. |
Hat er keine auf dieses Errichtungsstatut bezogene Rechtswahl getroffen, so gilt ersatzweise das Heimatrecht, das er in dem Erbvertrag oder irgendwann einmal vor dem Abschluss des Erbvertrages gem. Art. 22 EuErbVO als das allgemein auf seine Rechtsnachfolge von Todes wegen geltende Recht gewählt hat, Art. 25 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 EuErbVO. |
3. |
Hat er schließlich keine Rechtswahl getroffen, diese vor Errichtung des Erbvertrages widerrufen oder aber eine Rechtswahl erst nach Abschluss des Erbvertrages getroffen, so gilt das Recht des Staates, in dem er zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Art. 25 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO (sollte nicht die Ausweichklausel in Art. 21 Abs. 2 EuErbVO eingreifen). |
Rz. 33
Bei einem einseitig verfügenden Erbvertrag ist somit ausschließlich das auf Seiten des verfügenden Erblassers geltende Errichtungsstatut maßgeblich. Auf den gewöhnlichen Aufenthalt oder die Staatsangehörigkeit dessen, demgegenüber er die vertragsmäßige Bindung eingeht, kommt es allenfalls für die Frage seiner Geschäftsfähigkeit an. Tritt eine Nachlassspaltung auf oder enthält der Erbvertrag Verfügungen mehrerer Erblasser, sind u.U. mehrere Rechtsordnungen anwendbar und nebeneinander zu beachten (siehe näher Rdn 77).
Rz. 34
Aus dem Errichtungsstatut ergibt sich, ob vertragsmäßige Verfügungen überhaupt zulässig sind und welche Personen als Vertragspartner in Betracht kommen (im österreichischen Recht z.B. nur Ehegatten, § 1249 ABGB; im belgischen und französischen Recht in der Sonderform der institution contractuelle nur zwischen bzw. mit Brautleuten, Art. 1082 belg. c.c.; Art. 1082 frz. c.c.).
Beispiel:
Folge wäre z.B., dass ein in Deutschland lebender Erblasser und sein in Österreich lebender Mitgesellschafter miteinander keinen gegenseitigen Erbvertrag schließen könnten. Es wäre allenfalls möglich, dass der Österreicher widerruflich und der deutsche Partner einseitig vertragsmäßig verfügen.
Rz. 35
Das Errichtungsstatut bestimmt, welche Arten von Verfügungen mit vertragsmäßiger Bindungswirkung getroffen werden können, insbesondere auch zugunsten Dritter oder nur zugunsten des Vertragspartners (bspw. können im österreichischen Recht vertragsmäßige Verfügu...