I. Schenkung von Todes wegen
Rz. 82
Bei Schenkungen, die auf eine Verteilung des Vermögens erst nach dem Tode des Schenkers ausgerichtet sind, stellt sich die Frage, ob das schuldrechtliche Rechtsgeschäft kollisionsrechtlich als Schenkungsvertrag unter Lebenden behandelt werden kann oder ob es als erbrechtlich zu qualifizieren sind. Verfügungen unter Lebenden sind bezüglich des Zustandekommens und der schuldrechtlichen Wirkungen nach dem gem. Art. 3 f. Rom I-VO bestimmten, regelmäßig durch freie Rechtswahl definierten Schuldvertragsstatut zu beurteilen. Bei erbrechtlicher Qualifikation dagegen wäre die Schenkung als "Erbvertrag" i.S.v. Art. 25 EuErbVO zu behandeln.
Rz. 83
Die in Deutschland wohl überwiegende Auffassung zu Art. 25 EGBGB unterschied für die kollisionsrechtliche Behandlung einer Schenkung von Todes wegen unter entsprechender Heranziehung von § 2301 BGB danach, ob diese zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits vollzogen ist oder nicht. Im ersteren Fall liege eine Schenkung unter Lebenden vor, daher gelte das gem. Art. 3 f. Rom I-VO ermittelte Schenkungsstatut (vertragsrechtliche Qualifikation). Es ist dann das durch Rechtswahl frei bestimmte Recht anzuwenden. Ist eine Rechtswahl weder ausdrücklich noch konkludent getroffen worden, gilt gem. Art. 4 Rom I-VO im Zweifel das am gewöhnlichen Aufenthalt des Schenkers geltende Recht. Die zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht vollzogene Schenkung dagegen soll dem Errichtungsstatut bei Abschluss des Schenkungsvertrages unterliegen (erbrechtliche Qualifikation).
Rz. 84
Art. 1 Abs. 2 lit. g EuErbVO bestimmt nun, dass "Rechte und Vermögenswerte, die auf andere Weise als durch Rechtsnachfolge von Todes wegen begründet oder übertragen werden, wie unentgeltliche Zuwendungen, Miteigentum mit Anwachsungsrecht des Überlebenden (joint tenancy), Rentenpläne, Versicherungsverträge und ähnliche Vereinbarungen", vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind. Das Erbstatut solle dagegen regeln, ob unentgeltliche Zuwendungen oder sonstige Verfügungen unter Lebenden mit dinglicher Wirkung vor dem Tod für die Zwecke der Bestimmung der Anteile der Berechtigten im Einklang mit dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht ausgeglichen oder angerechnet werden sollten (EG 14 S. 2 EuErbVO). Der EUGH hat daher definiert, dass Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO dahin auszulegen ist, dass ein Vertrag, in dem eine Person vorsieht, dass bei ihrem Tod das Eigentum an einer ihr gehörenden Liegenschaft auf andere Vertragsparteien übergeht, einen Erbvertrag im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
Rz. 85
Hieraus ergibt sich m.E. als Differenzierungskriterium deutlich, "ob eine Verfügung über den Nachlass" vorliegt. Alle Verfügungen oder Gestaltungen, die dazu führen, dass der betroffene Gegenstand erst gar nicht in den Nachlass fällt, sondern quasi am Nachlass vorbei auf den Begünstigten übergeht, führen dazu, dass dieser nicht "durch Rechtsnachfolge von Todes wegen" erwirbt bzw. keine Vereinbarung vorliegt, "die mit oder ohne Gegenleistung Rechte am künftigen Nachlass oder künftigen Nachlässen einer oder mehrerer an dieser Vereinbarung beteiligter Personen begründet" (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. b EUErbVO), sodass kein unter die EUErbVO fallender Erbvertrag vorliegt, sondern eine Vereinbarung unter Lebenden, die dem nach der Rom I-VO bestimmten Vertragsstatut untersteht.
Rz. 86
Das betrifft dann insbesondere die Fälle, in denen schon bei einem gemeinschaftlichen Erwerb einer Sache vereinbart wurde, dass dem überlebenden Eigentümer der Anteil des vorverstorbenen Eigentümers unmittelbar zuwächst (so die in Art. 1 Abs. 2 lit. g EuErbVO genannte joint tenancy with right of survivorship, gleichermaßen aber die clause tontine im französischen Recht und entsprechende Klauseln in Kaufverträgen nach dem katalanischen Recht). Maßgeblich ist hier dann das für die sachenrechtliche Miteigentümerstellung einschlägige Belegenheitsrecht, Art. 43 EGBGB. Das Gleiche muss aber auch gelten, wenn in einem Gesellschaftsvertrag einer GbR deutschen Rechts eine Anwachsung durch einfache Fortsetzungsklausel unter Abfindungsausschluss vereinbart wurde bzw. ein Eintrittsrecht zugunsten eines Dritten. Nicht wesentlich hiervon weicht die Übernahmeklausel in französischen Eheverträgen ab, wonach im Rahmen der gesetzlichen Gütergemeinschaft (communauté réduite aux acquets) oder vertraglichen allgemeinen Gütergemeinschaft (communauté conventionelle) der überlebende Ehegatte die Gütergemeinschaft vollständig oder zum überwiegenden Teil übernimmt (clause d’attribution intégrale), sodass ggf. der Nachlass ausgehöhlt wird. Diese Verträge und die mit ihnen verursachten Vermögenserwerbe wären dann nach dem Güterstatut zu behandeln, und dem Erbstatut wäre dann allenfalls die Frage zu entnehmen, ob den Abkömmlingen des Erblassers gegen den begünstigten Ehegatten Ansprüche wegen Beeinträchtigung ihres Pflichtteilsrechts zustehen. In Anwendung dieser Regel fällt eine Schenkung auf den Todesfall dann unter die Regelung für die Schenkunge...