Rz. 49
Art. 3 Abs. 1 lit. c EuErbVO enthält eine Definition des gemeinschaftlichen Testaments. Ein "gemeinschaftliches Testament" ist danach "ein von zwei oder mehr Personen in einer einzigen Urkunde errichtetes Testament". Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. d EuErbVO sind das Testament, das gemeinschaftliche Testament und der Erbvertrag "Verfügung von Todes wegen". Daraus ergibt sich klar, dass das gemeinschaftliche Testament gemeinsam mit dem einseitigen Testament unter den Oberbegriff "Testament" fällt, während der Erbvertrag als eine andere Kategorie der Verfügung von Todes wegen eingeordnet wird. Als "Erbvertrag" wird in Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO eine Vereinbarung definiert, einschließlich "einer Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente", die mit oder ohne Gegenleistung Rechte am künftigen Nachlass oder künftigen Nachlässen einer oder mehrerer an dieser Vereinbarung beteiligter Personen begründet, ändert oder entzieht.
Rz. 50
Nach dieser vielversprechenden Definition im "Allgemeinen Teil" der Verordnung findet sich aber keine Spezialregelung zum gemeinschaftlichen Testament in der EuErbVO. Der Begriff "gemeinschaftliches Testament" taucht nach der Definition in Art. 3 EuErbVO vielmehr überhaupt nicht mehr in der Verordnung auf. Das ist für die Praxis misslich, denn gemeinschaftliche Testamente sind nicht nur in Deutschland, sondern auch in zahlreichen weiteren Mitgliedstaaten der EU verbreitet (z.B. in Österreich, Litauen, Dänemark, Schweden, Finnland, Irland, in Teilen Spaniens und in Malta, nun auch in Ungarn).
Rz. 51
In der deutschen Literatur wird überwiegend vorgeschlagen, das "wechselbezügliche Testament nach deutschem Recht" unter den Begriff der "Vereinbarung aufgrund gegenseitiger Testamente" i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO zu fassen. Es erscheint naheliegend, dass man mit dieser Formulierung das gemeinschaftliche Testament erfassen wollte. Bonomi weist bereits darauf hin, dass die Definition des gemeinschaftlichen Testaments in Art. 3 Abs. 1 lit. d EuErbVO sich auf die formalen Aspekte beschränke und damit allenfalls testamenta mere simultanea erfasse, also solche Verfügungen, bei denen sich die Gemeinschaftlichkeit auf die äußere Urkundseinheit beschränkt und eine innere Verbindung der Verfügungen miteinander nicht erforderlich ist. Andererseits werden die Fälle der Urkundseinheit unabhängig davon erfasst, ob eine innere Verknüpfung der Verfügungen vorliegt oder nicht. Darüber hinaus geht aber auch die Definition des Erbvertrages am Wesen des gemeinschaftlichen Testaments weit vorbei. Eine "Vereinbarung" ist zur Errichtung auch von gegenseitigen Testamenten nicht erforderlich. Darüber hinaus bezieht die Definition des Erbvertrages allein die den Testamenten zugrunde liegende "Vereinbarung" ein, lässt aber die aufgrund der Vereinbarung errichteten gegenseitigen Testamente außen vor. Die Qualifikation des gemeinschaftlichen Testaments und der gegenseitigen Testamente als "Nicht-Erbvertrag" und damit als Testament i.S.v. Art. 24 EuErbVO wird durch diese Vorschrift also nicht in Frage gezogen, sondern – berücksichtigt man das in Art. 3 Abs. 1 lit. d EuErbVO zum Ausdruck kommende Ausschließlichkeitsverhältnis – im Gegenteil bestätigt.
Rz. 52
Darüber hinaus laufen die vorgenannten Versuche auf einen Zirkelschluss hinaus: Ob die Verfügungen bei Errichtung von zwei Testamenten in einer einheitlichen Urkunde "wechselbezüglich" sind und ob ein "Testament nach deutschem Recht" vorliegt, kann im Rahmen der Qualifikation, also am Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Prüfung, noch nicht zugrunde gelegt werden. Vielmehr ist die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf die Verfügungen erst Rechtsfolge der Anknüpfung und damit das Ergebnis der kollisionsrechtlichen Prüfung, und auch die Wechselbezüglichkeit lässt sich erst nach eingehender Prüfung der Verfügungen anhand des durch die Anknüpfung ermittelten Errichtungsstatuts entnehmen (so sind zwar nach den Vermutungsregeln in den §§ 2270 f. BGB und der dazu ergangenen Rechtsprechung der deutschen Gerichte von Eheleuten getroffene Verfügungen – auch außerhalb eines gemeinschaftlichen Testaments im formellen Sinne – häufig wechselbezüglich; nach § 1248 öst. ABGB in der Fassung bis zum 1.1.2016 hingegen war Wechselbezüglichkeit nur bei ausdrücklicher Anordnung im Testament anzunehmen). Weniger schwierig, aber auch nicht völlig unproblematisch dürfte es sein, schon auf der kollisionsrechtlichen Ebene Testamente in "gegenseitige gemeinschaftliche Testamente" und "nicht gegenseitige gemeinschaftliche Testamente" abzugrenzen.
Rz. 53
Schließlich gibt es m.E. auch keinen Anlass für die gekünstelte und wesensfremde Umdeutung des gemeinschaftlichen Testaments in einen Erbvertrag: Teilweise wird zur Rechtfertigung vorgetragen, diese sei erforderlich, um zu verhindern, dass sich einer der gemeinschaftlich testierenden Erblasser nachher der Bindungswirkung durch einen Statutenwechsel entziehe. Bei einer gemeinschaftlichen Errichtung von Testamenten in einer Urkun...